Der Chef schaut immer zu

Fortgeschrittene Arbeitsplatz-Überwachung verfügt mittlerweile über bemerkenswerte technische Fähigkeiten.

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Wenn das Jahr sich dem Ende neigt, scheint die Zeit noch schneller zu laufen, als ohnehin schon. Bereits Morgen beispielsweise erscheint schon die Dezember-Ausgabe der Technology Review. Das Titelthema dieser Ausgabe wird die Zukunft der Arbeit sein. Allerdings behandeln wir diese Frage unter einem etwas anderen Blickwinkel als die zahlreichen "Werden-die-Roboter-uns-alle-Jobs-wegnehmen?"-Artikel, die in den vergangenen Monaten erschienen sind. Die Geschichte kreist nicht um die Frage, was oder wieviel wir angesichts von immer besser werdenden Robotern und künstlichen Intelligenzen in Zukunft noch zu arbeiten haben, sondern darum, wie wir in Zukunft arbeiten werden. Und natürlich, wie wir in Zukunft arbeiten wollen, denn die Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung haben wird, ist keinesfalls entschieden. Sie hängt vielmehr von unseren Entscheidungen ab.

Ein aktueller Artikel im Guardian über Arbeitsplatz-Überwachung - vor allem in den USA - belegt die Aktualität dieser Frage auf eindrucksvollste Weise: Der Guardian-Artikel listet zahlreiche Beispiele der fortgeschrittensten Arbeitsplatz-Überwachung auf, von Worksmart, einer Software, die alle zehn Minuten einen Screenshot der Webcam macht und analysiert, wie oft der User von einem Programm zum anderen wechselt, über Digital Reasoning und Wiretap, die die interne Kommunikation in Firmennetzwerken überwachen.

Dabei sind die modernen Überwachungstools schon längst nicht mehr auf Stichwortlisten mit kritischen Begriffen angewiesen sondern analysieren auch das Kommunikationsverhalten an sich - schlagen also beispielsweise Alarm wenn ein Angestellter öfter als sonst zu verschlüsselter Kommunikation per WhatsApp wechselt oder gar bestimmte Themen "bei einer Tasse Kaffee besprechen" will. Andere Programme wie Fama, das die Social-Media-Aktivitäten von Bewerbern durchleitet, sind angeblich schon sehr weit beim Verständnis von Kontext - einer notorischen Schwäche von Sprachverarbeitung im Computer. Das Programm könne den Unterschied zwischen "ein bisschen Gras haben im Hinterhof" und "Wir haben deutlich zu viel Gras im Hinterhof" verstehen, brüstet sich der CEO von Fama, Ben Mones. Das wäre technisch sehr cool, aber auch ganz schön gruselig.

Die Beispiele mögen für uns recht gruselig nach Big Brother und Totalüberwachung klingen. Aber in einem Werbevideo erklärt Andy Tryba, der CEO von Worksmart die Welt aus seiner Perspektive. Alle hochqualifizierten Jobs werden in die Cloud wandern, meint Tryba. Der Standort eines Unternehmen, der Wohnort eines Angestellten, werde in Zukunft irrelevant. Jedes Unternehmen, das in diesem Umfeld arbeiten wolle, müsse sich also nicht nur einem globalen Wettbewerb um die besten Köpfe stellen. Man braucht dann auch ein Plattform, auf der die Leute optimal zusammen arbeiten können, und die den Angestellten ermöglicht, "sich selbst hoch aufgelöst zu betrachten", um ihre Performance immer weiter zu verbessern. Das Ziel sind möglichst viele unterbrechungsfreie Konzentrationphasen mit maximaler Intensität - kurz "Deep Work". Das zu erreichen geht natürlich nur auf der Basis von Daten - die sind schließlich objektiv. Und was für mich aussieht wie ein orwellsches Überwachungsinstrument ist für Tryba ein "Fitbit for Work", ein Hilfsmittel zur stetigen Selbstverbesserung.

Wer jetzt glaubt, die spinnen die Amerikaner, und so etwas werde es in Deutschland nie geben, hat die Dynamik der Digitalisierung noch nicht verstanden. Das, was da in den nächsten zwanzig Jahren auf uns zukommt, könnte in der Tat eine Art Globalisierung auf Speed sein - ein computeroptimierter Wettbewerb der Turbo-Business-Zombies. Aber das ist kein Naturgesetz.

"Zu entscheiden, wie eine Gesellschaft Technologie einsetzen will, ist nicht nur, nicht einmal hauptsächlich der Job von Regierungen", schreiben die MIT-Ökonomen Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson in ihrem neusten Buch "Machine, Platform, Crowd". "Das muss aus allen Teilen der Gesellschaft kommen: Von Unternehmens, Managern, aber auch aus der individuellen Entscheidung von Millionen von Individuen. Die nächsten paar Jahrzehnte können und sollten besser werden, als alles, was die Menschheit je erlebt hat. Das ist keine Vorhersage; es ist eine Möglichkeit, ein Ziel". Es wird an uns kleben bleiben, dafür zu sorgen. (wst)