Auf großer Fahrt

Mille Miglia: 1000 Meilen Heldenhatz

Gerade einmal 24 Mal fand die Mille Miglia statt. Zwischen 1921 und 1957 war es für die Identität italienischer Fahrer und Hersteller aber der wichtigste Titel, der überhaupt die Vitrine schmücken konnte. Im Überschwang der Gefühle geriet die Veranstaltung völlig außer Kontrolle

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Klassiker 10 Bilder

(Bild: Mercedes)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Bernd Kirchhahn
Inhaltsverzeichnis

Gerade einmal 24 Mal fand die Mille Miglia statt. Zwischen 1921 und 1957 war es für die Identität italienischer Fahrer und Hersteller aber der wichtigste Titel, der überhaupt die Vitrine schmücken konnte. Im Überschwang der Gefühle geriet die Veranstaltung völlig außer Kontrolle ... und dann trieb der Ehrgeiz Enzo Ferrari in den Wahnsinn.

Schon zu Beginn der 1950er Jahre ging die Strahlkraft der Mille Miglia weit über das Flair eines Straßenrennens hinaus. Es ging hier um nichts weniger als den Nationalstolz. Für italienische Hersteller war es Ehre und Pflicht gleichermaßen Unsummen für Fahrzeuge und Fahrer auszugeben, um hier zu gewinnen. Die Wagen wurden speziell auf dieses Rennen hin entwickelt. Schon Monate vorher begann das taktische Abwägen und Entwickeln.

Status eines Weltmeisterschaftslaufes

Und dann kam das Jahr 1955. Die Mille Miglia hatte sich enorm gewandelt. Zum einen hatte sie mittlerweile den Status eines Weltmeisterschaftslaufes, zum anderen wurde die Veranstaltung von Amateurrennfahrern geflutet. Die Rennleitung hatte vor Jahren schon begonnen, die Klassen zu erweitern um so mehr Raum für die unterschiedlichsten Teilnehmer zu schaffen. 1952 gingen zum ersten Mal über 500 Fahrzeuge an den Start, 1955 waren es 534.

Die Zahl der Unfälle nahm stetig zu und lediglich die Frage, wann es zur großen Katastrophe kommen würde, war noch offen. Nicht ob. Aus rein sportlicher Sicht war 1955 ein spannendes Mille Miglia Jahr. Das Wetter passte perfekt und ein Fahrer schwang sich auf, eine Legende zu werden. Stirling Moss stieg in seinen Mercedes-Benz 300 SLR und legte eine Rekordfahrt hin.

Er brauchte insgesamt 10:07:48,00 Stunden. Was bedeutete, dass er eine Durchschnittsgeschwindigkeit von beinahe 158 Stundenkilometern erreichte. Durch Dörfer, über schmale Pässe und Pflastersteine. Neben einem nachgerade unheimlichen Fahrtalent sorgte bei dieser Rekordfahrt vor allem Denis Jenkinson für Aufsehen. Der Beifahrer diktierte Moss im Stile eines Rallye-Co-Piloten die Kurven und Geraden. Für die Mille Miglia war das eine Sensation.

Zweiter: Eine halbe Stunde Rückstand

Allerdings auch eine Schmach. Schon der Zweitplatzierte, der damals zweifache Formel-1-Weltmeister Manuel Fangio, der ebenfalls im 300 SLR unterwegs war, hatte über eine halbe Stunde Rückstand. Erst eine dreiviertel Stunde hinter Moss – immerhin auf Platz drei – rollte mit Umberto Maglioli auf Ferrari 118LM der erste Italiener durchs Ziel.

Für das Protokoll: nur drei Mal konnte ein nicht-italienischer Fahrer auf einem nicht-italienischen Auto die Mille Miglia gewinnen. 1931 siegte Rudolf Caracciola im Mercedes-Benz SSKL - ein Ausnahmefahrer, der auf einer noch jungen Rallye ein gutes Auto erwischt hatte. Da konnten selbst die Italiener nicht beleidigt sein. 1940 gewann Fritz Huschke von Hanstein auf einer BMW 328 Berlinetta Touring unter der Regie der deutsch-italienischen Diktatorenachse. Der sportliche Wert dieses Sieges darf – bei aller Bewunderung für das Auto und das unbestreitbare Talent Hansteins – angezweifelt werden. Moss dürfte also zum ersten Mal in der Geschichte der Mille Miglia eine wirkliche Narbe in der italienischen Volksseele hinterlassen haben.

Kein Stich

Bei Ferrari hatten sie die Schnauze gestrichen voll. Denn nicht nur bei der Mille Miglia, auch in der Formel eins gelang den Italienern kein Stich. Und ganz nebenbei stagnierte deswegen auch der Verkauf der Straßenfahrzeuge. Doch die Marke hatte sich für 1956 mit dem 290MM etwas Besonderes einfallen lassen. Sie hatten den Zwölfzylinder aus dem Ferrari 250 von 1952 überarbeitet. Aus 3,5 Litern kamen jetzt 330 PS.