Flop des Jahres: Heiße Luft

Wer nach dem Dieselskandal auf eine gewisse Lernfähigkeit der Politik gehofft hatte, wurde enttäuscht.

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Es gibt viele Möglichkeiten, auf den Stickoxid-Skandal zu reagieren. Die Teilnehmer der Dieselgipfel haben es geschafft, allen gleichzeitig aus dem Weg zu gehen. Sie konnten sich lediglich auf billige Software-Updates mit fragwürdiger Wirksamkeit einigen. Effizientere, aber teurere Hardware-Nachrüstungen wollte die Bundesregierung den Herstellern nicht zumuten, ebenso wenig eine Entschädigung getäuschter Kunden nach dem Vorbild der USA.

Außerdem beschlossen Industrie und Politik einen gemeinsamen Hilfsfonds für Kommunen in Höhe von einer Milliarde Euro, bei dem derzeit allerdings noch unsicher ist, ob die Industrie ihren ohnehin schon bescheidenen Beitrag von 250 Millionen überhaupt zusammenbekommt. Jetzt, drei Monate nach dem Beschluss, sei jedenfalls noch kein einziger Cent geflossen, gebe es keine Kontonummer, kein Antragsformular, keine Satzung und keinen Beirat, der Projekte beschließen könne, zitiert die Frankfurter Allgemeine einen Automanager.

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Bis heute sperren sich Bund und Länder zudem gegen eine blaue Plakette, die es Kommunen erlauben würde, selektive Fahrverbote gegen dreckige Fahrzeuge auszusprechen. Und an die eigentliche Ursache des Diesel-Desasters, das Staatsversagen bei der Zulassungskontrolle, traut sich die deutsche Politik nicht nur nicht heran – sie hintertreibt sogar aktiv eine vernünftige Lösung.

TR 13/2017

Der Artikel stammt aus der neuen Ausgabe von Technology Review. Das SPECIAL-Heft ist ab 7.12.2017 im Handel und ab sofort im heise shop erhältlich.

Die Idee einer europäischen Zulassungsbehörde hat sie bereits erfolgreich abgebügelt. Nun geht Deutschland nach Informationen des Handelsblatts auch gegen den vergleichsweise harmlosen Vorschlag der EU-Kommission vor, dass sich die europäischen Zulassungsbehörden regelmäßig gegenseitig auf die Finger schauen sollten. Für die Kontrolle bleibt also weiterhin ein unkontrolliertes Kraftfahrt-Bundesamt zuständig, das seine diesbezügliche Zahnlosigkeit schon reichlich nachgewiesen hat.

Nicht einmal zur naheliegenden Maßnahme, die Mineralölsteuer von Diesel und Benzin anzugleichen, konnte sich die Bundesregierung durchringen. Dies hatten der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) und der Bundesrechnungshof Ende November in seltener Einmütigkeit gefordert. Der SRU hält sie für "ökologisch nicht zu rechtfertigen", der Rechnungshof monierte entgangene Steuereinnahmen in Höhe von zehn Milliarden Euro pro Jahr. Das sind – selbst bei wohlwollender Berechnung – knapp zwanzigmal so viel wie die Nettoeinnahmen der Pkw-Maut und zehnmal so viel, wie im Hilfsfonds steckt.

Die ärgsten Folgen für die Umwelt wird wohl die Gewaltenteilung abfedern. Wenn die Politik nichts entscheiden will, werden das eben die Gerichte tun. Schließlich gibt es einschlägige Grenzwerte und geltendes Recht. Nun will auch die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland klagen, weil es die Luftgrenzwerte seit Jahren überschreitet.

Gegenmaßnahmen sind nicht mehr Gegenstand politischer Verhandlungsmasse, auch wenn die Teilnehmer des Dieselgipfels dies offenbar noch immer nicht begriffen haben. Autofahrer müssen also mit undifferenzierten Fahrverboten und einem galoppierenden Wertverlust gebrauchter Selbstzünder rechnen.

Auch die Kollateralschäden für die politische Kultur sind immens: Das Verhalten der Mächtigen vermittelt erstens den Eindruck, dass die Autoindustrie tun und lassen kann, was sie will – es finden sich immer noch genug Politiker, die ihr den Rücken freihalten. Zweitens, dass sich die Politik nur dann an Recht und Gesetz hält, wenn es nicht allzu viele Umstände bereitet. Drittens, dass es um ihre Vorausschau generell nicht besonders gut bestellt ist: Seit Jahren schon rast sie verkehrspolitisch auf eine Mauer zu, fühlt sich aber weder bemüßigt zu bremsen noch auszuweichen. (grh)