34C3: Zero Rating-Dienste als "Zeitbombe"
Netzneutralitäts-Aktivist Thomas Lohninger warnte in Leipzig vor den Folgen von Diensten wie Telekom StreamOn und Vodafone Pass für die Netzneutralität.
Seit der Abkehr der amerikanischen Regulierungsbehörde FCC von der Netzneutralität stellt sich die Frage, wie es mit den Garantien für ein offenes Netz weitergeht. Auf dem 34C3 in Leipzig warnte der Aktivist Thomas Lohninger davor, dass eine zu schwache Umsetzung in Europa die Netzneutralität auch hierzulande wieder gefährden könne.
Kaum Konsequenzen bei Verstößen
"Wir haben eine gemeinsame gesetzliche Regelung in der EU, aber viele verschiedene Regulierungsbehörden", so Lohninger, Geschäftsführer der Bürgerrechts-Organisation epicenter.works. Diesen Regulierern stünden deutlich unterschiedliche Mittel zum Schutz der Netzneutralität zur Verfügung.
So sei die höchste Strafe für Verstöße in Bulgarien lediglich 250 Euro. Bisher stellten zudem viele Regulierungsbehörden den Bürgern keine Informationen bereit, wie sie gegen Verstöße vorgehen können. Die Vorschrift, wonach den Kunden bei ihrem Internetanschluss zu Hause auch eine Mindestgeschwindigkeit garantiert werden müsse, werde oft nicht umgesetzt. Teilweise gebe es nicht einmal Messungen, mit denen eine Verschlechterung der Dienste diagnostiziert werden könnten.
Als Positivbeispiel stellte Lohninger Indien hervor, wo die kürzlich erweiterteten Netzneutralitätsregeln direkt in die Telekommunikationsgesetzen eingearbeitet wurden. Das bedeute: Wer sich nicht an die Regeln halte, riskiere seine Zulassung zum Anbieten von Telekommunikationsleistungen zu verlieren.
Problem: Zero Rating
Als größtes Problem sieht Lohninger, die immer weiter verbreiteten Zero-Rating-Angebote wie Telekom StreamOn und Vodafone Pass, bei denen Kunden für die Nutzung bestimmter Dienste das Datenvolumen nicht berechnet werde. Bei einer Untersuchung wurden in 25 von 29 Ländern solche Angebote gefunden. Nur in elf Ländern davon seien Untersuchungen gestartet worden, ob diese Angebote den Regeln der Netzneutralität entsprächen. Kein einziges der Angebote sei verboten worden.
"Das bedeutet: Die Einzelfallbeurteilung der Zero-Rating-Angebote funktioniert derzeit nicht", schlussfolgert Lohninger. So biete der größte Provider Portugals einen Tarif an, bei dem die Nutzer lediglich 500 MByte Datenvolumen für das freie Internet zur Verfügung gestellt bekommen. Wer damit nicht auskommt, muss Zusatzpakete buchen, die das Datenvolumen jeweils nur für bestimmte Dienste wie Facebook und Instagram oder bestimmte Streaming-Dienste aufstocken.
Zweiseitiger Markt
Die Fortentwicklung der Zero-Rating-Angebote untergräbt nach Auffassung Lohningers die Netzneutralität insgesamt. So hätten es die Provider über diesen Umweg geschafft, einen zweiseitigen Markt zu etablieren, bei denen sie nicht nur von ihren Endkunden, sondern auch von Diensteanbietern effektiv Bezahlungen verlangen könnten.
Doch dieses Modell sei insbesondere für kleine Startups nicht zu bewältigen. Um Gleichbehandlung mit den Branchenführern zu erreichen, müsste ein Online-Anbieter alleine in Europa 3000 verschiedene Verträge mit Mobilfunkanbietern abschließen, um die Freischaltung der eigenen Datenpakete zu garantieren. Die Folge sei ein Markt, der sowohl große Provider als auch große Online-Dienste stark bevorzuge.
"Kein Fan des offenen Netzes"
Dezentrale Plattformen wie das Podcasting-Portal Bitlove seien ohnehin von den Angeboten ausgeschlossen, da diese ihren Verkehr nicht effektiv für eine kostenlosen Weiterleitung markieren könnten. Eine weitere Folge des Geschäftsmodells: Durch die Zwangs-Etikettierung des Datenverkehrs, der schließlich auch zu Abrechnungszwecken gespeichert werden könne, sei sogar eine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür zu befürchten.
Sorge bereitet Lohninger auch die weitere Gesetzgebung. So steht für April 2019 ein Review der bisherigen Regulierungen an. Lohninger erwartet, dass die Telekommunikationskonzerne sich hier für eine Aufhebung vieler Vorschriften einsetzen werden. Gerade der Ausbau des 5G-Netzes liefere den Marktteilnehmern starke Argumente, "Regulierungsferien" für die neuen Netze zu fordern. Damit könnten sie Erfolg haben. "Die EU-Kommission ist kein großer Fan des offenen Netzes", sagte Lohninger in Leipzig.
Einen Artikel zum Thema finden Sie in Ausgabe 1/2018 der c't: Die Netzneutralität wird ausgehöhlt. (nij)