Bildung: Mehr Input

Mithilfe von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz versprechen immer mehr Unternehmen, eine Art Turbogang für Schulen und Universitäten zu schaffen. Aber ist mehr Technik in der Bildung tatsächlich die Lösung?

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In 500 Schulen in China messen Forscher der Jiao Tong University Shanghai mit Kamera und Software, ob sich die Kinder langweilen. An der Software mitgearbeitet hat das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). "Im Fokus der chinesichen Kollegen steht, welche Lernkompetenzen ein Kind hat, wie es seine Aufgaben löst und was ihm Schwierigkeiten bereitet", sagt Christoph Igel vom DFKI in Berlin.

Sobald die Gesichtserkennung registriert, dass ein Kind gelangweilt aussieht, bekommt es auf seinem Rechner neue Aufgaben zugewiesen. Ist das Kind hingegen überfordert, erhält es vom System weitere Hilfsangebote. "Methoden der künstlichen Intelligenz können in solchen Fällen eine Unterstützung ermöglichen, die Lehrer sich in großen Schulklassen ohne Technik niemals leisten könnten", sagt der Leiter des Educational Technology Lab in Berlin.

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Was Igel nüchtern als "adaptive Lernsoftware" beschreibt, ist der neuste Schrei in einem Sektor, der sich stürmisch entwickelt: "EdTech", kurz für "Educational Technologies". War Bildung lange Pflicht und Privileg staatlicher Institutionen, schießen hier mittlerweile Hunderte von privaten, gewinnorientierten Start-ups aus dem Boden, vom YouTube-Erklärer über Online-Kursangebote renommierter Universitätsdozenten – und eben bis hin zum vollautomatischen Tutor auf der Basis von künstlicher Intelligenz. Ob bei dieser digitalen Umwälzung der Bildung die Vorteile oder die Nachteile überwiegen, ist noch völlig unklar. Sicher ist nur, dass der Umbruch ähnlich dynamisch verlaufen wird wie der Wandel der Arbeitswelt durch die Digitalisierung.

Das Silicon Valley ist ganz vorn mit dabei. Mark Zuckerberg etwa hat mit seiner Chan Zuckerberg Initiative (CZI) 50 Millionen Dollar in das indische EdTech-Unternehmen BYJU gesteckt. Der ehemalige Google-Manager Max Ventilla hat im Silicon Valley mehr als 130 Millionen Dollar für seine Initiative AltSchool eingesammelt, die voraussichtlich 2018 eine komplett neue Grundschule auf der Basis von individualisiertem Lernen eröffnen will. Kein Wunder, denn der EdTech-Markt ist hochinteressant: 2011 betrug der weltweite Umsatz mit E-Learning-Tools 35,6 Milliarden Dollar, 2016 waren es nach Angaben von Forschern der Universität Essex bereits rund 51 Milliarden. 2020 könnte der Umsatz nach Schätzungen des US-Wirtschaftsmagazins "Forbes" auf 252 Milliarden Dollar klettern.

An Deutschland läuft der Trend – noch – vorbei, sagt DFKI-Experte Igel. Ein Projekt wie in China wäre hier völlig unrealistisch. Datenschutz und langwierige Prozesse bei der Einführung von Innovationen in der Schule stünden dem entgegen. In Deutschland bräuchten neue Lernkonzepte rund 15 Jahre, bis sie in einer Schule verankert werden. "Vorher wird das Konzept rauf und runter diskutiert, von Eltern, Lehrern, Schulleitung und Gewerkschaften, bis die Technik schon wieder veraltet ist." Als Folge finde Bildung hierzulande immer öfter im "informellen Sektor" statt – etwa auf YouTube oder anderen Lernplattformen, die ein für Smartphones optimiertes, häppchenweises Lernen in Videoform anbieten. Alexander Giesecke von TheSimpleClub beispielsweise begann, mit seinem Schulfreund Nicolai Schork Videos für YouTube zu drehen.

TR 10/2017

(Bild: 

Technology Review 10/2017

)

Dieser Artikel stammt aus der Oktober-Ausgabe von Technology Review. Das Heft war ab dem 14. September 2017 im Handel und ist im heise shop erhältlich.

"Wir haben in der Schule festgestellt, dass unsere Mitschüler immer bei YouTube nachschauten, wenn sie im Unterricht nichts verstanden haben", sagt er. "Aber es gab zu wenig gute Angebote." So entstanden mittlerweile 1500 Videos, nicht nur für Mathe, sondern auch für Bio, Physik, Chemie oder Geschichte. Inzwischen hat sich das Unternehmen von YouTube gelöst und ist auf eine eigene Seite umgezogen. Die Videos sind nach wie vor kostenlos und durch Werbung finanziert. Für darüber hinausgehende interaktive Übungsaufgaben müssen Nutzer jedoch 9,99 Euro im Monat bezahlen.

Derzeit arbeitet das TheSimpleClub-Team daran, adaptive Lerntools mit rudimentärer KI-Unterstützung zu entwickeln. "Wir haben uns gedacht, wenn Spotify es schafft, Playlists vorzuschlagen, die ihre User gut finden, dann kann das für unsere Videos doch auch nicht so schwer sein", sagt Giesecke. Das System, das am 14. September online gehen soll, schlägt auf Basis der Userdaten eine Zusammenstellung aus dem Fundus vor. Dabei soll es auch lokale Gegebenheiten wie unterschiedliche Lehrpläne in verschiedenen Bundesländern berücksichtigen.

Auf den ersten Blick sieht diese Aufgabe recht einfach aus: Nachdem die Lernsoftware den Lernenden ihre vorbereiteten Inhalte vorgespielt hat – in Form von Videos, Text oder Animationen –, folgt eine "Evaluationsphase", in der die Software versucht herauszufinden, wie viel von dem dargebotenen Stoff tatsächlich angekommen ist. In der Regel sind es mehr oder weniger komplexe Test, die der Lernende nach jeder Lektion ausfüllen muss. Manche Systeme probieren aber auch, wie im Fall des chinesischen Feldversuchs, die Messung von Emotion und Aufmerksamkeit der Schüler einzubeziehen. Ist der Stoff erfolgreich vermittelt, folgt automatisch die nächste Lektion.