Laden, bis der Engpass kommt

Der Verkehr der Zukunft soll 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen einsparen – und nebenbei noch die künftige Stromversorgung stabilisieren. Forscher sind überzeugt: Beides geht. Wenn man endlich anfängt, das Gesamtsystem zu sehen.

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Von
  • Denis Dilba

Dieser Artikel-Ausschnitt ist der aktuellen Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft 02/2018 ist ab dem 25.01.2018 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Strom: mehr als 22 Prozent Rückgang. Wärme: fast 35 Prozent Rückgang. Verkehr: mindestens ein Prozent Zunahme. Diese drei Zahlen stehen für die Veränderung des CO2-Ausstoßes seit 1990 – und sie verdeutlichen das ganze Dilemma der deutschen Energiewende. Während bereits rund ein Drittel des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammt, dümpelt ihr Anteil im Verkehr seit Jahren bei mickrigen fünf Prozent herum. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um zugemischte Biokraftstoffe und den kleinen Ökostromanteil der Bahn.

Das Ziel der Bundesregierung, die CO2-Emissionen des Verkehrs bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren, sei deshalb eine „unglaubliche Herausforderung“, sagt Matthias Altmann, Berater für nachhaltige Energie und Mobilität bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH (LBST) aus München. Der Physiker hat gerade für das Verkehrsministerium ein integriertes Energiekonzept entwickelt, das den Verkehr besser in die Energiewende einbinden soll. Immerhin ist bereits eine grobe Richtung abzusehen: Ökostrom und darauf basierende Kraftstoffe statt fossilem Sprit.

Was sich einfach anhört, ist in der Praxis allerdings kompliziert: Es gibt unzählige Pfade, elektrische Energie in Bewegung umzusetzen – über Batterien, Wasserstoff oder synthetische Brennstoffe („Power-to-Liquid“ beziehungsweise „Power-to-Gas“). Bei Letzteren wird Wind- oder Sonnenstrom eingesetzt, um Wasserstoff per Elektrolyse aus Wasser zu gewinnen und anschließend mit CO2 unter hohem Druck und hoher Temperatur in Methan und langkettige Kohlenwasserstoffverbindungen zu verwandeln. Letztere lassen sich dann über weitere Raffinerieprozesse zu Diesel, Benzin oder Kerosin veredeln.

Jeder Pfad hat eigene Stärken und Schwächen, jeder verlangt nach seiner eigenen Infrastruktur, jeder hat spezielle Auswirkungen auf das restliche Energiesystem. Geht es beispielsweise allein um die Effizienz, ist der batterieelektrische Antrieb unschlagbar: Etwa 80 bis 90 Prozent der eingesetzten Energie können in Vortrieb umgesetzt werden. Wird die gleiche Strommenge zur Erzeugung von Wasserstoff verwendet, kommt ein Brennstoffzellenauto damit nur halb so weit (siehe Grafik). Einen noch schlechteren Wirkungsgrad haben synthetische Kraftstoffe in einem normalen Motor (siehe TR 1/2018, S. 42).

Trotzdem haben diese beiden Pfade ebenfalls ihre Vorzüge: Synthesesprit etwa lässt sich ohne große Umbauten über normale Tankstellen und Autos nutzen. Und sowohl Wasserstoff als auch Kohlenwasserstoffe haben eine höhere Energiedichte als Batterien und lassen sich schneller tanken.

Klar ist damit jetzt schon, dass es nicht eine Lösung für alle Verkehrsmittel geben wird. Stadtautos mit kurzer Reichweite sind für Batterien prädestiniert, schwerere Lkw eher für die Brennstoffzelle geeignet – und größere Schiffe und Flugzeuge werden auch in Zukunft flüssige Kraftstoffe benötigen. „In der Tendenz gilt: Je größer das Fahrzeug, je höher die Reichweite sein soll und je schneller getankt werden muss, desto besser eignet sich ein Brennstoffzellenantrieb mit Wasserstoff“, sagt LBST-Experte Altmann. Es müsse daher alles gleichzeitig und koordiniert angepackt werden. „Dabei gilt es, flexibel zu bleiben und die verschiedenen Optionen in unterschiedlichen Anwendungen weiterzuentwickeln.“ Auch Detlef Stolten, Leiter des Instituts für Elektrochemische Verfahrenstechnik am Forschungszentrum Jülich, hält es für „sehr wahrscheinlich, dass bei der Elektrifizierung weder die Wasserstoffwelt noch der batterieelektrische Antrieb allein dominieren werden“.

Da all diese Varianten Strom als Ausgangspunkt haben, können sie zudem einen wertvollen Dienst für das gesamte Energiesystem liefern: überschüssigen Strom aus erneuerbaren Quellen aufnehmen und bei Bedarf wieder ins Netz zurückspeisen. Auch hier haben Batterien die mit Abstand geringsten Verluste. Die Akkus von Millionen E-Autos könnten in dieser sogenannten Vehicle-to-Grid-Technik (V2G) zu einem entscheidenden Scharnier für das Zusammenwirken von Stromnetz und Verkehr werden und große Netzspeicher überflüssig machen. Deshalb testet Nissan seit 2016, wie gut sich sein Elektrotransporter e-NV200 als mobiler Pufferspeicher eignet. Am Hauptsitz des dänischen Energieversorgers Frederiksberg Forsyning in Kopenhagen betreibt der japanische Autokonzern zehn V2G-Stationen. Sie hätten nach einem Jahr Betrieb gezeigt, dass Elektroautobesitzer mit der Vergütung für die Stromrückspeisung in Dänemark theoretisch rund 1300 Euro im Jahr dazuverdienen können, sagt Michel Jansen, Manager Electric Vehicle vom Nissan Center Europe.

Rein technisch wäre V2G auch in Deutschland möglich, sagt Andreas Knie, Chef des Berliner Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ). Der Mobilitätsforscher betreibt bereits seit mehreren Jahren ein dezentrales V2G an seinem Institut. Die rund 45 zugehörigen E-Autos werden dort mit vor Ort produziertem Wind- und Sonnenstrom versorgt. Aus Knies Sicht ist jetzt die Politik am Zuge, die Schlüsseltechnologie auf den Weg zu bringen. „Ohne einen finanziellen Anreiz wie eine Bereitstellungsgebühr und eine zusätzliche Vergütung des rückgespeisten Stroms wird V2G leider wenig Chancen haben.“

(grh)