Datensouveränität: Die Säge am informationellen Selbstbestimmungsrecht

Das neumodische Konzept der Datensouveränität war auf einer Konferenz zum Europäischen Datenschutztag als Lobbybegriff der Datenindustrie heftig umstritten. Regierungsvertreter sehen Schutzrechte mit der neuen EU-Verordnung überdehnt.

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Weite Teile der Bundesregierung werben für "Datensouveränität" mit dem Hintergedanken, bestehende Schutzprinzipien wie die Zweckbindung und die Sparsamkeit im Umgang mit personenbezogenen Informationen auszuhebeln. Immer öfter werde so das Recht auf informationelle Selbstbestimmung implizit oder direkt in Frage gestellt, monierte die niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel am Montag auf einer gemeinsamen Tagung mit ihren Kollegen aus Bund und Ländern zum Europäischen Datenschutztag. "Souveränität könnte richtungsweisend werden", betonte sie. Dafür müsse das Schlagwort aber konkretisiert werden und dürfe nicht länger als Freibrief für Big Data und "Datenreichtum" verstanden werden.

Derzeit steht Datensouveränität laut dem Gründer von Netzpolitik.org, Markus Beckedahl, für einen "Lobby-Begriff", den die "riesige Datenindustrie" dem Wirtschaftsministerium verkauft habe. Damit solle der Diskussionsrahmen so verschoben werden, damit die Mitgliedsunternehmen des Digitalverbands Bitkom mit Größen wie Facebook oder Google "schöne neue Geschäftsmodelle mit unseren Daten" ohne richtige Transparenz und Einwilligung auflegen könnten. Besser sei der Begriff der "digitalen Souveränität", mit der es aber nur etwas werden könnte mit dem politischen Willen, "Medien- und Digitalkompetenz für alle zu vermitteln". Der Ex-Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warb gegenüber heise online dafür, die dargebotene Worthülse aufzugreifen und im Sinne der Kontrollbehörden positiv zu besetzen.

"Datensouveränität klingt gut" und "kommt jetzt in Mode mit dem Datenthema", konstatierte Winfried Veil, der als Referent im Bundesinnenministerium die Verhandlungen im EU-Rat über die Datenschutzreform begleitete. Er räumte aber ein, dass damit etwas anderes gemeint sei als das klassische Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sonst sehe er auch "keinen großen Nutzen darin, dafür einen neuen Begriff zu verwenden". Es werde also "mehr hineininterpretiert" im Sinne von Datenreichtum. Klassische Ansätze mit dem Ziel, die Privatsphäre zu gewährleisten, sollten damit "etwas relativiert oder in Frage gestellt werden".

Nikolaus Forgó, Markus Beckedahl, Winfried Veil (v.l.n.r.) auf der Datenschutzkonferenz: Datensouveränität nur ein Lobby-Begriff der Big-Data-Industrie?

(Bild: Stefan Krempl / heise online)

Als deutsche Erfindung bezeichnete der Wiener Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht, Nikolaus Forgó, das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Dieses sei nicht deckungsgleich mit dem Grundrecht auf Datenschutz auf EU-Ebene. Es handle sich um eine nationale Interpretation des Bundesverfassungsgerichts, das es vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) so nicht gebe. Auch in der neuen EU-Datenschutzverordnung finde es keinen direkten Widerhall. Jürgen Rühmann, Vizepräsident des sächsischen Verfassungsgerichtshofes, wollte dies aber so nicht stehen lassen. Er unterstrich, dass die Karlsruher Richter das informationelle Selbstbestimmungsrecht aus dem Grundrecht der Menschenwürde abgeleitet hätten und es so weder durch die EU verdrängt werde noch künftig "interoperabel in der Luft" hänge.

Veil befürchtet trotzdem, dass die vom 25. Mai an greifende Datenschutzverordnung das einschlägige hiesige Recht überfordern könnte. Damit sollten dem Text und der Begründung nach nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern auch zahlreiche anderen Grundrechte geschützt werden. Es gehe etwa auch um Diskriminierung, Identitätsdiebstahl, Rufschädigung, Verlust von Vertraulichkeit, die unbefugte Aufhebung der Pseudonymisierung, gesellschaftliche Nachteile, den Verlust von Rechten und Freiheiten oder der Kontrolle über Daten. "Das ist eine eierlegende Wollmilchsau"; mit den Interpretationsversuchen sei ein "ungeheuer vielstimmiger Chor" beteiligt. Es werde daher in vielen offenen Fragen wohl Jahre dauern, bis der EuGH verbindliche Entscheidungen fälle und so Rechtssicherheit schaffe.

Als Beispiel für völlig unterschiedliche Auslegungen nannte der Jurist den Aspekt, ob Behörden künftig ohne zusätzliche spezielle Rechtsgrundlage Daten verarbeiteten könnten. In Frankreich werde diese Frage genauso bejaht wie bei der EU-Kommission in Brüssel, während die Bundesregierung gerade 140 Gesetze ändere, um diese entsprechend anzupassen. Besorgt zeigte sich Veil auch, dass es in der Wirtschaft ein "enormes Umsetzungsdefizit" gebe. Für große Unternehmen sei die Verordnung eine gute Gelegenheit, ihre Datenverarbeitungsprozesse sauber hinzukriegen. Google habe nach eigenen Angaben schon "400 Menschenarbeitsjahre darauf verwendet". Vielen kleinen Firmen stünde aber keine Armada an Rechtsberatern zur Seite.

"Wir sollten stolz sein auf die Verordnung", gab dagegen Renate Nikolay, Kabinettschefin von EU-Justizkommissarin Vera Jourová, als Losung aus. Europa sei mit diesem "Quantensprung" derzeit international der Maßstab. Für den Mittelstand gebe es einige Ausnahmebestimmungen, zudem sei die gewährte zweijährige Übergangszeit "ganz schön großzügig" gewesen. Jedes betroffene Unternehmen müsste den Weckruf inzwischen gehört haben.

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff betonte vor der Veranstaltung, dass "angesichts internationaler Internet-Monopolisten und zunehmender staatlicher Überwachung das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wichtiger denn je für die digitale Souveränität der Bürger ist". Die Bundesregierung sollte daher auch die "ambitionierten Vorschläge" des EU-Parlaments für eine E-Privacy-Verordnung konsequent unterstützen. Nutzer müssten frei entscheiden können, "ob ihr Surfverhalten gespeichert und analysiert werden darf". Nachdem die Werbewirtschaft es jahrelang versäumt habe, freiwillige Maßnahmen wie die "Do-not-Track"-Einstellung in Browsern effektiv umzusetzen, müsse nun der Gesetzgeber das Manko beheben. (jk)