Im Rückwärtsgang?

Was die Diesel-Verkaufszahlen senkt

Menschen mit Lust am Untergang prophezeien dem Selbstzünder inzwischen ein schnelles Ende. Wahrscheinlicher aber ist, dass sich eine Entwicklung fortsetzt, die seit vielen Jahren absehbar ist: Er verlagert sich in Fahrzeugklassen, in denen die Kosten der Abgasreinigung weniger relevant sind

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  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Wurden im Dezember 2016 noch 45 Prozent aller Pkw mit Dieselmotor an den Kunden übergeben, waren es ein Jahr später nur 33 Prozent. Menschen mit Lust am Untergang prophezeien dem Selbstzünder inzwischen ein schnelles Ende. Wahrscheinlicher aber ist, dass sich eine Entwicklung fortsetzt, die seit vielen Jahren absehbar ist: Der Dieselmotor verschiebt sich in höhere und schwergewichtige Fahrzeugklassen, in denen die Kosten der Abgasreinigung weniger relevant sind.

In Kleinwagen etwa ist der Dieselmotor mit wenigen Ausnahmen wie dem Fiat Panda kaum mehr erhältlich. Der VW Up, vorgestellt Ende 2011, war nie als TDI zu haben, während es Volkswagen mit seinem entfernten Vorgänger (vor dem VW Fox TDI) Lupo sogar mal als Dreiliter-Auto, einem teuren Schaufensterprojekt, versucht hatte. Ein Segment darüber steht der TDI ebenfalls vor dem Aus: Skoda kündigte im September an, das Angebot 2018 auslaufen zu lassen. Ist als nächstes die Golf-Klasse dran?

Das hängt davon ab, wie teuer die Abgasreinigung wird. Dazu ein kurzer Rückblick: Im Oktober 2014 veröffentlichte der International Council on Clean Transportation (ICCT) eine in Fachkreisen viel beachtete Studie zu den Realemissionen von Diesel-Pkw. 15 Autos wurden getestet, davon drei aus dem US-Markt. Von den drei in den USA verkauften Pkw fielen zwei mit desaströsen Abgaswerten als Auftakt von Dieselgate durch: der VW Jetta TDI und der VW Passat TDI. Einzig der BMW X5 schnitt akzeptabel ab.

Partikelfilter plus Speicher- und SCR-Katalysator

BMW, die Marke mit dem höchsten Dieselanteil in Deutschland, steht exemplarisch für das technisch Notwendige: Partikelfilter sind praktisch verpflichtend für alle Pkw ab Euro 5. Zusätzlich waren seit Einführung der Euro 6b-Norm zur Bekämpfung der Stickoxide entweder Speicher- oder SCR-Katalysatoren eingebaut. Ab März haben alle BMW-Modelle einen Speicher- und SCR-Katalysator.

Der Speicherkatalysator arbeitet effektiv bei niedrigen Abgastemperaturen, also zum Beispiel auf kurzen Strecken. Die Reinigung durch Harnstoff mit SCR-Katalysator dagegen braucht gewisse Mindesttemperaturen um wirksam zu sein. Die einen reden von 170 Grad, die anderen von 200 Grad.

Die Kombination aus Partikelfilter, Speicher- und SCR-Katalysator ist der neue und kostentreibende Mindeststandard. Und darum ist die eigentliche Ursache für die Verschiebung des Dieselmotors in höhere Fahrzeugklassen die gesetzliche Vorgabe.

Komplizierte Übergangsfristen

Die Fristen für die Einführung der kommenden Abgasnormen sind kompliziert. Man muss unterscheiden zwischen dem Datum für die Typprüfung eines neuen Modells und der Erstzulassung: Wer seit 1. September 2017 einen Autotyp homologiert, muss die Grenzwerte im neuen Prüfzyklus WLTP erfüllen. Obwohl die Grenzwerte nicht strenger geworden sind, ist der fahrzeugseitige Reinigungsaufwand höher: Im WLTP wird schneller gefahren und beschleunigt als im veralteten NEFZ. Das erhöht die Rohemissionen.

Außerdem müssen die Limits als Teil der Euro 6d-TEMP auch im Straßentest RDE (für Real Driving Emissions) eingehalten werden. Allerdings ist ein Abweichungsfaktor von 2,1 bei den Straßenmessungen von Stickoxiden erlaubt. Selbst mit der Euro 6d (dann ohne den Zusatz TEMP), die für alle ab 2021 neu zugelassenen Autos mit Dieselmotor gilt, wird eine Überschreitung um den Faktor 1,5 als gesetzeskonform bewertet.

Schonzeit bis 2021

Zusammengefasst und vereinfacht gesagt: Die für die Euro 6b seit 1. September 2014 (!) gültigen Grenzwerte für Stickoxide müssen außerhalb des Labors selbst 2021 nicht vollständig eingehalten werden. Trotzdem steigen die Anforderungen an die Abgasqualität insgesamt erheblich.