Voll auf Facebook

Machen Facebook und Co. süchtig? Die Frage führt am Kern der Debatte vorbei.

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Werden Jugendliche, die ständig am Smartphone kleben und ihre Zeit überwiegend auf Snapchat, Instagram oder ähnlichen Diensten verbringen, krank, einsam und beziehungsunfähig? Letzlich sogar depressiv? Die Debatte um die Gefahren sozialer Medien kocht gerade so richtig hoch und nimmt bisweilen schon leicht bizarre Züge an.

Für das aktuelle TR-Heft habe ich zu dieser Frage recherchiert - und das Bild, das sich für mich dazu ergibt ist sehr gemischt.

Auf der einen Seite haben wir Psychologen wie Jean Twenge, die der Meinung ist, das Smartphone habe eine ganze Generation zerstört. Twenge empfiehlt, die "Screen Time" von Jugendlichen radikal zu beschneiden und die jungen Leute vor die Tür die schicken, für "Face to Face"-Interaktion. Sie werden unterstützt von Wissenschaftlern wie dem Biologen und Evolutionsforscher Robin Dunbar, der davon überzeugt ist, dass enge, emotionale Beziehungen nur durch körperlichen Kontakt vermittelt werden können. Er befürchtet, dass eine Generation heranwächst, die im Wesentlichen beziehungsunfähig ist.

Auf der anderen Seite gibt es Kommunikationsforscher Soziologen und Soziologen wie Nicole Ellison, die davon ausgehen, dass es bezüglich Selbstbild, Selbstvertrauen, soziales Kapital, und Beziehungen zu anderen Menschen in sozialen Medien "verschiedene Praktiken gibt, die schädlich sind, und andere, die positive Effekte haben". "In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Konsens dahin entwickelt, dass die Dinge sehr viel komplizierter sind, und wir nicht einfach sagen können, diese oder jene Technologie zu verwenden hat diesen oder jenen Effekt", sagt Ellison.

Man könnte die Warnungen vor den schädlichen Folgen sozialer Netze als die übliche Zivilisationskritik bildungsbürgerlicher Mittelschichtler abtun, die sich wünschen, ihr Kind möge lieber ein gutes Buch lesen - oder Klavier lernen, oder Mandarin - statt seine Zeit mit dem Smartphone zu verdaddeln. Dramatisch zugespitzt wird der Diskurs allerdings durch eine Reihe von Aussteigern aus dem Silicon Valley die sich zusammengeschlossen haben, um gegen die Gefahren sozialer Netzwerke vorzugehen. Dafür haben sie das "Center for Humane Technology" gegründet und wollen eine millionenschwere Kampagne auflegen, um vor den Suchtgefahren durch Social Media zu warnen.

Sucht? Ja, Sucht. Der Suchtbegriff ändert sich grade. Der Sozialpsychologe Adam Alter hat ein ganzes Buch über "Verhaltenssucht" geschrieben, das ab 1.3. 2018 auch auf Deutsch erscheint. "Es gibt keine klare Linie zwischen Süchtigen und uns anderen, weil wir alle nur eine App, ein Produkt oder eine Erfahrung von unserer eigenen Sucht entfernt sind", schreibt Alter darin. Das klingt in der Tat ziemlich gruselig. Der ehemalige Google-Entwickler James Williams, der jetzt an der University of Oxford arbeitet, ruderte im Gespräch mit mir allerdings zurück. Es sei falsch, meinte er, die Diskussion nur auf die Suchtgefahr sozialer Medien zu konzentrieren. Stattdessen brauche es eine gesellschaftliche Diskussion darüber "welches Ausmaß an psychischer Manipulation" die Gesellschaft tolerieren möchte, wenn es um das Verkaufen von Werbung geht.

Und das ist meiner Meinung nach wirklich der zentrale Punkt. Wir, die User, benutzen Werkzeuge und Plattformen, die uns als "sozial" verkauft werden. Die angeblich dazu da sind, die ganze Welt miteinander zu verbinden - und sie so zu einem besseren Ort zu machen. In Wirklichkeit geht es aber nur darum, Werbung an den Mann und die Frau zu bringen. Möglichst zielgerichtet, und möglichst oft. Man kann das verwerflich finden, aber anzunehmen, Marc Zuckerberg und seine Kollegen würden nur aus Menschenliebe handeln, ist schlicht naiv. Wer soziale Netze will, die nicht nach den Spielregeln des Marktes funktionieren, wird mit dem Markt brechen müssen.

(wst)