Ins NetzDG gegangen

Seit Januar entscheiden Facebook, Twitter oder Google, was strafbare Äußerungen sind – und was Meinungsfreiheit. Der Staat lagert die Rechtsprechung aus. Unser Autor hat sich in den virtuellen Gerichtssaal begeben.

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Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Christian Honey

Dieser Artikel-Ausschnitt ist der Print-Ausgabe der Technology Review entnommen. Das Heft 3/2018 ist ab 22.2.2018 im gut sortierten Zeitschriftenhandel und im heise shop erhältlich.

Es ist der 9. Mai 2017, und ich bin ein „Arschloch”. Das twittert ein mir unbekannter Herr – nennen wir ihn @Troll. Der Herr hat über 7000 Follower. Damit ist sein Beitrag formalrechtlich eine öffentliche Beleidigung und nach § 185 Strafgesetzbuch strafbar. Wirklich beleidigt bin ich zwar nicht, aber darum soll es hier auch nicht gehen. Denn statt „Arschloch“ könnte dort auch „Judensau“ oder „schwule Drecksau“ stehen. Ich will wissen, welche Chancen Menschen gegen solche öffentlichen Beleidigungen haben. In der Theorie ist die Rechtslage klar. Aber wie ist es in der Praxis?

Seit dem 1. Januar 2018 ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von Heiko Maas voll in Kraft. Die Neuregelung soll ein großes Manko bei der Durchsetzung von Recht im Internet beheben: Soziale Netzwerke sind dazu verpflichtet, strafbare Beiträge zu löschen, wenn sie auf diese aufmerksam gemacht werden. So will es das Telemediengesetz. Dieser Aufgabe aber waren die Betreiber sozialer Netzwerke laut einer Studie der Organisation jugendschutz.net nur unzureichend nachgekommen. Das sollte sich ändern. Laut NetzDG sollen die Betreiber nun selbst zu Gericht sitzen. Sie sind verpflichtet, „offensichtlich strafbare“ Beiträge binnen 24 Stunden zu löschen. In weniger klaren Fällen haben Facebook und Co. sieben Tage Zeit, um sie als strafbar oder nicht einzustufen.

Der Protest blieb nicht aus. Kritiker fürchten gravierende Folgen für die Meinungsfreiheit. Nicht nur Journalistenverbände wie Reporter ohne Grenzen warnen, sondern auch Wirtschaftsorganisationen, etwa der Handelsverband Deutschland, oder Juristenverbände wie der Deutsche Anwaltverein. Die Rechtsdurchsetzung würde damit an Privatunternehmen übertragen, schreiben sie in einer gemeinsamen Deklaration. Es dürfe nicht das Motto gelten: „Im Zweifel löschen/sperren“.

(wst)