Was nichts kostet ...

Kostenloser Nahverkehr: Kritik von unerwarteter Seite

Der Vorschlag, in Städten mit hoher Luftbelastung einen kostenfreien Nahverkehr anzubieten, hat erwartungsgemäß zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen. Die Bedenken reichen von finanziellen Fragen bis hin zu den unvermeidlichen Hinweisen auf Defizite der Vergangenheit

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Trambahn in Wien 3 Bilder
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Von
  • dpa
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Fast hätte man die Uhr danach stellen können: Der Vorschlag, in Städten mit hoher Luftbelastung einen kostenfreien Nahverkehr anzubieten, hat erwartungsgemäß zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen. Die Bedenken reichen von finanziellen Fragen bis hin zu den unvermeidlichen Hinweisen auf Defizite der Vergangenheit. Erstaunlich ist eigentlich nur, von welcher Seite die Kritik kommt.

Die Bundesregierung erwägt zur Verbesserung der Luftqualität, Länder und Kommunen bei einem möglichen kostenlosen ÖPNV finanziell zu fördern. Damit soll die Zahl privater Fahrzeuge auf den Straßen verringert werden. Das geht aus einem Brief von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) an EU-Umweltkommissar Karmenu Vella hervor. Denkbar ist, dass der Bund Städte fördert, die einen kostenfreien Nahverkehr organisieren wollen.

Hintergrund der Überlegungen ist zum einen der Druck aus Brüssel. Deutschland droht eine Klage, weil seit Jahren in vielen Städten Grenzwerte für den Ausstoß von Stickoxiden nicht eingehalten werden – diese gelten als gesundheitsschädlich. Zusätzlich drohen in Deutschland gerichtlich erzwungene Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge. Darüber wird am 22. Februar verhandelt.

Monetäre Bedenken

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund verwies vor allem auf die Kostenfrage. „Die Kommunen und Verkehrsbetriebe können es jedenfalls nicht bezahlen“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Rhein-Neckar-Zeitung (Ausgabe vom 14. Februar 2018). Die Einnahmen von rund 13 Milliarden Euro pro Jahr im öffentlichen Nahverkehr würden auch benötigt, um besser zu werden und Angebote auszubauen. Gratis fahren könne höchstens ein langfristiges Zukunftsprojekt werden. Erforderlich seien deutlich mehr Fahrzeuge und Personal.

Auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sieht große Hürden. Zwar dürfe es bei der Vermeidung von Fahrverboten keine Denkverbote geben, sagte der VKU-Präsident und Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling der dpa. Er schränkte ein: „Kostenloser Nahverkehr ist eine visionäre Vorstellung, die auf jeden Fall mehrere Testballons braucht. Denn so einfach ist das nicht.“ Der Bund müsse sagen, wie er so etwas bezahlen möchte. „Zudem stelle ich mir die Frage, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll“, meinte Ebling. Mehr Menschen mit dem ÖPNV zu befördern, bedeute, neue Busse und Straßenbahnen zu kaufen und an die infrastrukturellen Gegebenheiten anzupassen. „Kurzfristig lässt sich so etwas nicht umsetzen.“

Aktionismus

Die Grünen warfen der Bundesregierung Aktionismus vor. Fraktionsvize Oliver Krischer sagte der dpa, die große Koalition sei beim öffentlichen Verkehr in den Städten seit Jahren weitgehend untätig. „Nun in einem Brief an Brüssel mit Vorschlägen zu kommen, die im Koalitionsvertrag nicht mal erwähnt sind, ist unglaubwürdig.“ Ein kostenloser ÖPNV sei interessant, löse aber nicht das akute Problem schmutziger Luft. „Um wirklich etwas gegen dreckige Luft zu tun, brauchen wir die blaue Plakette und Verpflichtung zur Nachrüstung von manipulierten Fahrzeugen auf Kosten der Hersteller. Doch dem verweigert sich die Bundesregierung seit Jahren.“