Maßnahmen für bessere Luft: Wer zahlt bei Gratis-Nahverkehr?

Ideen zur Luftreinhaltung gibt es viele, gratis sind die wenigsten. Vor allem der Vorstoß der Bundesregierung, in zunächst fünf Städten kostenlosen Nahverkehr anzubieten, wirft Fragen auf – und lenkt vom Anlass zu der teils hitzigen Diskussion ab.

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Maßnahmen für bessere Luft: Wer zahlt bei Gratis-Nahverkehr?

(Bild: Shutterstock)

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  • dpa
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Am kommenden Montag, 26.2.18., treffen sich erstmals Vertreter des Bundes und die Bürgermeister jener fünf Städte, in denen neue Maßnahmen zur Luftreinhaltung getestet werden sollen. Noch ist offen, was die Stadtoberhäupter erwartet. Auch für sie kam die Ankündigung der Bundesregierung überraschend, dass ihre Kommunen als Testgebiete etwa für kostenlosen Nahverkehr ausgewählt worden sind. Dennoch bringen sie sich aber nicht nur mit Fragen, sondern auch mit Ideen und Vorschlägen in der Diskussion ein.

"Wir erhoffen uns vor allem Klarheit über die finanzielle Ausstattung des Versuchs und über den Rechtsrahmen", sagt Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD). Als Diskussionsgrundlage kann er bereits eine wichtige Zahl zu den voraussichtlichen Mindestkosten nennen: "Wenn alle, die jetzt schon Bus und Bahn fahren, quasi über Nacht nichts mehr bezahlen müssen, kostet das in Mannheim erst einmal rund 80 Millionen Euro."

Hinzu kommen Kosten in bisher nicht abgeschätzer Höhe für etwaige Umsteiger, die ihr Auto stehen lassen, um gratis mit Bus und Bahn zu fahren – also jene Verkehrsteilnehmer, die durch Autofahrverzicht überhaupt erst eine Besserung der Luftqualität bringen sollen. Bei der Frage nach der Finanzierung schließt sich Reutlingen an: "Wir hoffen auf brauchbare Informationen, wie sich die Bundesregierung die Umsetzung der bisher sehr vagen Idee eines kostenlosen Nahverkehrs vorstellt", heißt es aus dem Rathaus. Für Kurz sei aber fraglich, ob die derzeit geschäftsführende Regierung überhaupt über genug Entscheidungskraft für ein solch folgenreiches Projekt verfüge.

Die Idee vom Gratis-ÖPNV treibt die Bürgermeister um. Allgemein wird bezweifelt, dass solch ein Vorhaben schnell umgesetzt werden kann, weil die Nahverkehrssysteme in vielen Städten vor allem zu den Hauptverkehrszeiten ohnehin längst an der Belastungsgrenze sind. Und auch regionale Gegebenheiten müssten berücksichtigt werden. So müsste beispielsweise in Essen die Machbarkeit eines kostenlosen ÖPNV mit den Nachbarstädten abgestimmt werden, wie Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) sagt.

Die Bürgermeister haben deshalb eigene Ideen im Gepäck. "Im Bereich ÖPNV sollte man aus unserer Sicht zunächst die Infrastruktur ausbauen, also das Angebot vergrößern und die Taktung verbessern", heißt es in Herrenberg. "Uns geht es weniger um einen Gratisverkehr als vielmehr um eine Verbesserung der Verkehrsstruktur", sagt auch Mannheims OB Kurz.

Denkbar sei etwa, die Fahrpreise zu jener Tageszeit zu senken, in denen das Passagieraufkommen derzeit schwach ist, um Bahn und Bus besser auszulasten. Es gebe aber auch noch radikalere, kostenintensivere Überlegungen, etwa einen völligen Verzicht auf das Auto zu belohnen: Wer seinen Wagen abgibt, könnte für zwei Jahre eine ÖPNV-Freifahrkarte erhalten.

Nun hängt es an der Bundesregierung, der Kritiker vorwerfen, mit unausgegorenen Vorschlägen vorgeprescht zu sein, um die EU-Kommission zu beruhigen. Die Kommission droht mit einer Klage beim Europäischen Gerichtshof, weil Deutschland in vielen Städten die Luftverschmutzung durch Stickoxide nicht in den Griff kriegt. Die Bundesregierung muss also bei dem Treffen auch belegen, dass sie ihre Vorschläge ernst meint. Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) formuliert es so: "Es geht mir nicht nur um den Nachweis, welche Varianten welche Effekte haben, sondern darum, das Thema Luftreinhaltung mit Nachdruck anzupacken."

Dabei geräten Mitverantwortliche an der vor allem in Städten ungenügenden Luftqualität aus dem Blick – Autohersteller, die mit betrügerischen Motorsteuerungen Vorgaben zur Leistung von Dieselkatalysatoren eigenmächtig ignorierten. Zudem setzen sie das Versprechen, den eigenen Fehler mittels Software-Nachrüstungen für manipulierte Fahrzeuge auszübügeln, offenbar nur zögerlich um. Nachdem die peinliche Abgasmanipulation des VW-Konzerns aufgeflogen war, hatten VW, BMW, Daimler und Opel im August 2017 nur unter Druck der Politik und Öffentlichkeit zugesagt, rund 5,3 Millionen ihrer Diesel-Fahrzeuge mit neuer Software auszustatten. Damit sollte die durchschnittliche Stickoxidbelastung um bis zur 30 Prozent sinken. Bei rund 2,5 Millionen dieser Fahrzeuge von VW erfolgte die Umrüstung auf Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes, die restlichen sollten freiwillig aktualisiert werden.

Doch anscheinend geht es beim zweiten Schritt kaum voran. Die befragten Automobilhersteller schieben dem Kraftfahrtbundesamt den schwarzen Peter zu – das KBA habe keine konkreten Einsparziele für Stickoxide vorgegeben. Bereits entwickelte Software könne deshalb und mangels Genehmigung des KBA nicht aufgespielt werden. Einigen Herstellern könnte das in die Karten spielen, denn die Entwicklung der Software scheint noch nicht bei jedem abgeschlossen zu sein. Hingegen waren die Autohersteller erfolgreicher damit, Hardware-Nachrüstungen an älteren Dieselfahrzeugen aus technischen und finanziellen Gründen abzulehnen. (dz)