Digitalwirtschaft: Bundesjustizministerin Barley drängt auf bessere ethische Maßstäbe

Um die Transparenz rund um Algorithmen und die Datennutzung zu stärken, will die neue Justizministerin Katarina Barley nicht nur auf strengere Regeln setzen, sondern auch auf eine "unternehmerische Digitalverantwortung".

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Digitalwirtschaft: Bundesjustizministerin Barley drängt auf bessere ethische Maßstäbe

Die neue Bundesjustizministerin während ihrer Antrittsrede.

(Bild: bundestag.de)

Lesezeit: 5 Min.

Die neue Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, Katarina Barley, hat sich angesichts zunehmender Probleme mit der datengetriebenen Wirtschaft vor allem für eine stärkere Diskussion "über ethische Maßstäbe in der digitalen Welt" ausgesprochen. In ihrer Antrittsrede im Bundestag plädierte die SPD-Politikerin für "Corporate Digital Responsibility" nach Vorbild einer unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung in Form der "Corporate Social Responsibility". Eine derartige stärkere digitale Selbstregulierung sei nötig neben weiteren gesetzlichen Regeln.

Mit der Digitalisierung ändere sich das gesellschaftliche Leben grundlegend, führte Barley aus. Heute könne der Verbraucher im Wohnzimmer laut sagen, dass er eine Pizza wolle, die dann gleich über smarte Lautsprecherdienste wie Alexa geordert würden. Parallel habe der vernetzte Kühlschrank im Bedarfsfall schon das Bier nachbestellt. "Das ist alles wunderbar so, aber dabei entstehen enorme Datenmengen", gab die deutsch-britische Juristin zu bedenken. Dieser Rohstoff des 21. Jahrhunderts wecke Begehrlichkeiten, über Tracking oder Scoring würden detaillierte personenbezogene Profilbilder erstellt.

Wer nun sage, er habe doch "nichts zu verbergen", sollte über diese Haltung noch einmal nachdenken, empfahl Barley. Die Folge könnte etwa sein, dass Bürgern bestimmte Güter teurer auf dem Handy angeboten werden als anderswo oder dass sie als "besonders unzuverlässig eingestuft werden". Dies dürfte dann etwa zu Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Wohnung führen.

"Unsere Daten machen uns auch manipulierbar", warnte Barley und verwies auf den Datenskandal rund um Facebook und die Big-Data-Firma Cambridge Analytica. Dadurch seien "Menschen mit politischen Botschaften bombardiert" worden, die Wütenden etwa mit Hassbotschaften, "um eine politische Wahl zu beeinflussen". Unerlässlich sei es daher, dass jeder Einzelne gut darüber informiert werde, was mit seinen persönlichen Daten passiere.

Der Bürger finde sich in der Auseinandersetzung mit Internetkonzernen wie Amazon, Facebook oder Google aber rasch in einem Kampf "David gegen Goliath" wieder. Daher brauche es "den Rechtsstaat und den Verbraucherschutz, um das Gefälle auszugleichen". Der europäische Gesetzgeber habe so eine neue Datenschutzverordnung beschlossen, wonach der Nutzer jeweils manuell zustimmen müsse, welche Daten er freigebe. Dazu kämen deutlich höhere Sanktionsmittel nach Verstößen, die bei Facebook etwa bis zu 1,6 Milliarden Euro betragen könnten.

Mehr Transparenz forderte die Ministerin auch für Algorithmen ein, da diese darüber entschieden, "in welche Schubladen wir gesteckt werden". "Wir stehen für die Datensouveränität unserer Bürger ein." Der vage Begriff wird von Datenschutzbeauftragten nicht gern gesehen: Sie befürchten, dass damit das informationelle Selbstbestimmungsrecht unterlaufen werden soll.

Als weiteren Schwerpunkt ihrer Tätigkeit hob Barley die von der großen Koalition verabredete Musterfeststellungsklage hervor. "Einer für alle" solle das Motto dabei lauten, sodass etwa Verbraucherschutzvereinigungen Verfahren für eine Vielzahl Betroffener führen könnten. Sie habe einen Referentenentwurf dazu schon auf den Weg gebracht, damit Betroffene der Dieselaffäre davon gegebenenfalls beizeiten noch profitieren könnten.

In der anschließenden Aussprache erklärten auch Vertreter der Opposition, dass sie Barley dabei unterstützen wollten, Datenmissbrauch in der Digitalwirtschaft zu bekämpfen und das neue Klageinstrument durchzubringen. Gefragt sei eine bessere "Handhabe gegen betrügerische Konzerne wie VW", befand etwa der Linke Friedrich Straetmanns. In Bezug auf Facebook & Co. gab er der Ministerin mit auf den Weg: "Nutzen Sie die Möglichkeit, diesen Konzernen rechtliche Grenzen zu setzen."

Auf Programmroutinen und Daten als Machtmittel setzende Unternehmen müssten dringend wieder den Regeln der Rechtsstaatlichkeit unterzogen werden, verlangte Stephan Thomae von der FDP. "Mehr Transparenz von Algorithmen und Vergleichsportalen begrüßen wir ausdrücklich", ergänzte die Grüne Katja Keul. Im Koalitionsvertrag fehle aber wieder einmal der Whistleblower-Schutz, obwohl Hinweisgeber in Firmen und in der öffentlichen Verwaltung endlich besser abgesichert werden müssten.

Tobias Peterka (AfD) bemängelte, dass die Koalition sich in ihrem Vertrag nur auf elf von knapp 180 Seiten mit Reformen des Rechtsstaats beschäftige. Prinzipien wie "Abschreckung und Sühne" erschienen der Regierung wohl nicht "modern" genug. Die Polizei dürfe nicht länger von der Politik instrumentalisiert, sondern müsse etwa mit Bodycams besser geschützt werden.

Laut Stephan Harbarth (CDU) kann der "schwere Missbrauch von Daten" im Fall Facebook Sprengkraft entfalten für die Funktionsweise der freiheitlichen Demokratie. Der Konzern müsse daher erklären, ob deutsche Nutzer betroffen seien und welche Maßnahmen er ergriffen habe. Der Skandal zeige, wie wichtig der Einstieg in die Regulierung von Facebook, Twitter & Co. mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz gewesen sei. Volker Ullrich von der CSU sprach sich dafür aus, den Konzernen durch die geplante E-Privacy-Verordnung der EU deutlich zu machen, dass derlei Verfehlungen Konsequenzen haben sollten. (anw)