Reis gegen Fingerabdruck: Digitalwahn und Hunger in Indien

Mehr als eine Milliarde gläserne Menschen leben in Indien – ihre persönlichen und biometrischen Daten liegen in einer zentralen Datenbank. Sicher ist die nicht: Zugang kann man illegal für sechs Euro bekommen.

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Reis gegen Fingerabdruck: Digitalwahn und Hunger in Indien

(Bild: Marco Saroldi, Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Nick Kaiser
  • dpa
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Der Datenskandal bei Facebook beschäftigt auch Indien. Diskussionen über Datenmissbrauch machen Schlagzeilen, obwohl das Land gar kein umfassendes Datenschutzgesetz hat. Ein Hacker hat jüngst enthüllt, dass Daten von Nutzern der persönlichen App des Premierministers Narendra Modi ohne deren Einverständnis an eine US-Firma weitergegeben wurden – was Recherchen indischer Medien danach bestätigen. Die oppositionelle Kongresspartei schimpft und spottet – doch nur so lange, bis der Hacker über ähnliche Probleme mit deren eigener App berichtet.

Dabei hätte es längst einen weit größeren Anlass für eine Datenschutzdiskussion gegeben, denn die Inder werden nach und nach zu gläsernen Menschen: Durch das staatliche Identifikationsprogramm Aadhaar haben inzwischen die meisten der 1,3 Milliarden Bürger einen Personalausweis mit einer zwölfstelligen Nummer, unter der in einer zentralen Datenbank persönliche und biometrische Daten gespeichert sind – darunter Iris-Scans und Fingerabdrücke.

Ab Juli müssen sich Empfänger staatlicher Hilfsleistungen per Aadhaar ausweisen, und zum selben Stichtag muss die Aadhaar-Nummer mit der Steuernummer verknüpft werden. Dasselbe soll auch für Bankkonten, SIM-Karten und Reisepässe gelten – entsprechende Fristen sind derzeit ausgesetzt, während sich der Oberste Gerichtshof mit Klagen gegen das Programm beschäftigt.

Aadhaar – übersetzt in etwa "Fundament" – wurde 2009 noch unter der vorherigen Regierung eingeführt, um Betrug bei Sozialleistungen zu verhindern. Modi baut es als Teil seiner Digitalisierungsinitiative weiter aus.
"Lange Zeit wurde es den Menschen als freiwillig verkauft", erklärt der renommierte Entwicklungsökonom und Aktivist Jean Drèze, der aus Belgien stammt, aber seit 1979 in Indien lebt. "Jetzt stellen die Leute fest, dass es alles andere als freiwillig ist, sondern in Wirklichkeit de facto verpflichtend."

Dass die gespeicherten Daten von mehr als einer Milliarde Menschen keineswegs sicher sind, fand die Journalistin Rachna Khaira heraus. Sie berichtete im Januar in der Zeitung The Tribune, dass sie von Hackern gegen Zahlung von 500 Rupien (etwa 6,20 Euro) Zugang zu der gesamten Datenbank bekommen habe. Die Aadhaar-Behörde UIDAI zog daraus befremdliche Konsequenzen: Sie zeigte Khaira unter anderem wegen Betrugs und Fälschung an.

Es war nach Angaben des Journalisten und Internetfreiheits-Aktivisten Nikhil Pahwa längst nicht die einzige Aadhaar-Datenpanne – obwohl die Regierung immer wieder betont, die Daten seien sicher. Wer auf Probleme hinweise, müsse mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen, sagt Pahwa. Auch gebe es viel Betrug, weil beim Zuweisen von Aadhaar-Nummern Ausweisdokumente nicht überprüft würden. Das habe bisweilen absurde Folgen: "Es gab Berichte über einen Stuhl, der eine Aadhaar-Nummer bekam – mit einem Foto eines Stuhls auf dem Ausweis. Auch Hunde haben Aadhaar-Nummern bekommen."