eCall: Notfallsystem für neue Fahrzeugmodelle in der EU

Mehr als 25.000 Menschen sterben jährlich bei Verkehrsunfällen in der Europäischen Union, 135.000 werden schwer verletzt. Die EU erwartet sehr viel vom neuen System eCall, das künftig viele von ihnen retten soll. Andere Experten sind skeptisch.

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Auto-Unfall
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Von
  • dpa

Alle neuen Automodelle in Europa werden ab Ende März mit dem Notfallsystem eCall ausgestattet, das nach einem Unfall über sogenannte Crash-Sensoren und die Steuerung der Airbags automatisch den europaweit geltenden Notruf 112 wählt und Standort inkl. Fahrtrichtung (wichtig bei Autobahn-Unfällen) des Fahrzeugs via Satellit übermittelt. Sollten die Insassen während er hergestellten Sprachverbindung nicht antworten, kann die Leitstelle direkt einen Rettungseinsatz auslösen. Darauf hat der europäische Herstellerverband Acea am Mittwoch hingewiesen. Das System ist ab 31. März in der Europäische Union (EU) Pflicht für neu zugelassene Automodelle.

"eCall hat das Potenzial, viele Menschenleben zu retten, indem es die Reaktionszeit der Rettungsdienste verkürzt", erklärte Acea-Generalsekretär Erik Jonnaert. Rettungswagen, Feuerwehr und Polizei könnten künftig so schnell wie möglich in der so entscheidenden Zeit unmittelbar nach einem Unfall reagieren.
"Mit eCall wird sich die Reaktionszeit der Rettungsdienste in ländlichen Gegenden um 50 Prozent und in städtischen Regionen um 40 Prozent verringern", rechnet die Europaabgeordnete Olga Sehnalova vor. "Das führt zu einer Verringerung der Todesopfer und der Rettung von bis zu 1500 Menschenleben pro Jahr." Die EU-Kommission schätzte die Zahl im Jahr 2013 sogar auf 2500.

Mit Blick auf die Lage in Deutschland hat Marco König, Vorsitzender des Berufsverbands Rettungsdienst, deutliche Zweifel. Im bundesweiten Durchschnitt dauert es nach seinen Worten heute knapp zehn Minuten, bis nach einem Notruf ein Retter am Unfallort ist. Eine Verringerung um 50 Prozent würde bedeuten, dass es nur noch fünf Minuten wären. Kaum realistisch, meint König. Da spielten ganz andere Faktoren eine Rolle als nur der rasche Anruf bei der Leitstelle, etwa die Logistik der Rettungswagen. In einigen EU-Ländern liegen die sogenannten Hilfsfristen nach Angaben des österreichischen Roten Kreuzes bei bis zu 20 Minuten.

Jede Beschleunigung hilft. König nennt eine Faustformel: Pro Minute sinkt bei einem lebensgefährlich Verletzten die Überlebenschance um zehn Prozent. "Wenn nur ein Menschenleben gerettet wird, dann ist das eine gute Investition", meint Achim Hackstein, Vorsitzender des Fachverbands Leitstellen. Ob sich eCall wirklich bewährt, wird sich aber wohl erst in einigen Jahren herausstellen. Denn Pflicht wird das System jetzt nur für neue Modelle, die sich dann langsam am Automarkt durchsetzen. Bisher gebe es kaum Erfahrungen, sagt Hackstein.

Datenschützer haben immer wieder schwere Bedenken gegen eCall vorgebracht. Der ehemalige schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert warnte, das Auto könnte zur "Datenschleuder" werden. Das Büro der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff beruhigt hingegen. Datenschutzrechtlichen Bedenken sei Rechnung getragen worden, sagt ein Sprecher. Der übermittelte Datensatz sei auf ein Minimum begrenzt worden. Bei korrekter Umsetzung des Systems wäre ein Zugriff von außen auf Fahrzeugdaten "nur mit extrem hohen Aufwand möglich". Auch der ADAC betont, Autofahrer könnten nicht "getrackt" werden. "Für diesen gesetzlich vorgeschriebenen eCall sehen wir unmittelbar keinen Missbrauch des Datenmonopols", erläutert Sprecher Johannes Boos.

Kritischer beäugt aber auch der ADAC Kommunikationsdienste, die Fahrzeughersteller in eigener Verantwortung anbieten. Mercedes-Benz etwa hat schon seit 2012 eigene Notrufzentralen. Boos warnt, einige Hersteller schlössen mit ihren Kunden Verträge mit weit umfangreicheren Datenpaketen als eCall. Bisweilen gebe es Klauseln, dass das Herstellersystem bei einem Unfall Vorrang vor eCall bekomme. Das wiederum sehen auch die Rettungsdienstexperten König und Hackstein kritisch: Automatische Notrufe müssten immer direkt an die Rettungsleitstelle gehen, fordern beide. (bme)