Post aus Japan: Bitte selbst bezahlen!

In Japan werden die Kassierer knapp. Einzelhandelsketten suchen daher auf immer breiterer Front das Heil in halb- oder vollautomatisierten Kassen.

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Von
  • Martin Kölling
Inhaltsverzeichnis

In Deutschland wird beim Bäcker noch Bares über den Tresen gereicht. Bei der Boulangerie Bonheur in Tokios neuesten Büro- und Shopping-Hochhaus Tokyo Midtown Hibiya kommt das Personal gar nicht mehr mit bakteriell bedenklichem Bargeld in Berührung. Zwei automatische Kassen empfangen die Kunden am Tresen. Und während der Kunde selbst das Geld in die Maschine steckt, packt das Personal schon die Backwaren ein. Das spart dem Kunden Zeit an der Kasse und dem Bäcker Personal.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Die kleine Bäckerei ist damit ein Teil eines großen Trends in Japans Einzelhandel: Der Geldtransfer am Ende des Einkaufserlebnisses wird immer rasanter und auf immer breiterer Front zwischenmenschlichen Kontakt geregelt. Der Trend begann schon vor Jahren. Die Supermarktkette Aeon stellte neben normalen Kassen auch Stationen auf, an denen die Kunden ihre Waren selbst einscannen und bezahlen konnten. Die Kunden scannten aber länger als professionelle Kassierer. Daher hat sich die Idee nicht flächendeckend durchgesetzt. Doch der Zwang zum Sparen bleibt. Und stellen immer mehr Supermärkte halbautomatische Kassen auf, bei denen die Mitarbeiter noch scannen, aber der Kunde schon selber bezahlt.

Noch setzen die verschiedenen Unternehmen diese Idee unterschiedlich um: In meiner Tokioter Nachbarschaft hat der 24 Stunden geöffnete große Supermarkt Maruetsu fast die gesamte Kassenbatterie durch die neuen Geräte ersetzt. Beim Tokyu Store auf der anderen Seite des Bahnhofs überwiegt hingegen noch der händische Geldtransfer. Aber grundsätzlich ist die Stoßrichtung gleich: Die Einzelhandelsketten versuchen, effiziente Abwicklung, Sparen und Personalabbau geschickt mit der Umerziehung besonders der alten Kunden zu verbinden, die noch an menschlichen Kassierern hängen.

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Die nächsten Schritte sind schon absehbar. Lawson, eine Kette von rund um die Uhr geöffneten Hightech-Tante-Emma-Läden, erprobt ab dieser Woche in drei Tokioter Läden das Bezahlen mit dem Handy. Eine App genügt – und schon wird mit einem Klick auf den QR-Code das Geld überwiesen. Lawson überlegt, das System schon dieses Jahr landesweit auszurollen. Doch der Konzern denkt noch weiter.

Voriges Jahr hat Lawson bereits eine Roboterkasse von Panasonic getestet, die die Waren automatisch einliest und in eine Tüte packt. Amazon mit seinem automatisierten Supermarkt lässt grüßen. Der Unterschied: Amazon hat Anfang des Jahres einen Amazon Go-Shop eröffnet. Wenn Lawson mit der Einkaufsrevolution ernst macht, werden gleich 14000 Nachbarschäftsläden betroffen. Der logistische Aufwand wäre ungeheuer: Die Läden sind zwar nur rund 90 Quadratmeter groß, führen aber mehr als 3000 Waren, deren Zusammensetzung teilweise über den Tageslauf den Einkaufsgewohnheiten angepasst wird.

Die Einzelhändler verfolgen daher auch genau, ob und wann sie die Fahrer durch autonome Fahrzeuge ersetzen können. Toyota hat bereits auf der amerikanischen Elektronikmesse CES seine Idee eines selbstfahrenden Shops vorgestellt. Dies ist eine Geschäftsidee für das angedachte modulare Roboterauto-/Bussystem e-Palette. Bei den Vehikeln handelt es sich um quaderähnliche Nutzfahrzeuge, die in verschiedenen Größen als Taxis, Busse, fahrende Büros oder Laster genutzt werden können.

Auch Drohnen werden bereits getestet. Lawson und der japanische Amazon-Rivale Rakuten haben voriges Jahr beispielsweise ausprobiert, wie Waren durch unbemannte Flubobjekte zu mobilen Shops geliefert werden können. Denn gerade auf dem immer stärker entvölkerten Land haben die Ketten Probleme, genügend Personal zu finden. Dies zwingt immer mehr Lawson-Stores dazu, nachts zu schließen. Zudem lohnen sich feste Läden in vielen Regionen kaum. Gleichzeitig leiden immer mehr alte Leute darunter, nicht mehr Einkaufen gehen zu können, da ihnen auf dem Land die Wege zu lang werden. Da könnten fahrende Läden helfen, in dem die Firmen Sonderwünsche der Kunden schnell per Luftfracht vom festinstallierten zum fahrenden Shop erfüllen.

Ich hege keine Zweifel, dass dieser Schritt dann kommen wird, wenn Lawson die gesamte Logistik in der Cloud einwandfrei beherrscht. Denn der gesellschaftliche Widerstand gegen diesen Austausch von Menschen durch Maschinen ist in Japan gering. Hier ist nämlich nicht Arbeitslosigkeit das Problem, sondern Arbeitskräftemangel. Die Gehälter für einfache Arbeiten wie Lastwagenfahrer oder Restaurantpersonal steigen daher derzeit oft prozentual am stärksten, wenn auch von einem sehr niedrigem Niveau. Japanische Unternehmen könnten daher zu den Pionieren bei der Massenanwendung von Innovationen im Einzelhandel gehören.

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