Abgasskandal: US-Justiz klagt Ex-VW-Chef Winterkorn an, bis zu 25 Jahre Haft drohen

Lange war es ruhig in der Aufarbeitung von "Dieselgate". Das hat sich schlagartig geändert. Die US-Justiz nimmt jetzt auch den früheren VW-Konzernchef ins Visier. Sollten die Ermittler den 70-Jährigen schnappen, drohte ihm eine lange Haftstrafe.

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Volkswagen

(Bild: dpa, Julian Stratenschulte)

Lesezeit: 5 Min.
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  • dpa
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Die US-Justiz klagt den früheren VW-Konzernchef Martin Winterkorn wegen Betrugs und Mittäterschaft im Abgasskandal an. Das geht aus einer erweiterten Anklageschrift hervor, die am Donnerstag vom zuständigen Gericht in Detroit (US-Bundesstaat Michigan) veröffentlicht wurde. Die US-Behörden vermuten Winterkorn laut Justizkreisen allerdings in Deutschland, von wo ihm keine Auslieferung drohen dürfte.

"Wer versucht, die Vereinigten Staaten zu betrügen, wird einen hohen Preis bezahlen", erklärte US-Justizminister Jeff Sessions laut einer Mitteilung. Die Tatsache, dass kriminelle Straftaten von VW von der höchsten Ebene der Konzernführung abgesegnet gewesen sein dürften, sei erschreckend, sagte der zuständige Staatsanwalt Matthew J. Schneider vom östlichen Bezirk Michigans. Die US-Ermittler gehen davon aus, dass Winterkorn im Mai 2014 und Juli 2015 über die Abgasmanipulation informiert wurde und dann mit anderen Führungskräften entschieden habe, die illegal Praxis fortzusetzen.

Winterkorn wird Betrug vorgeworfen, er soll außerdem Teil einer Verschwörung zum Verstoß gegen US-Umweltgesetze und zur Täuschung der US-Behörden gewesen sein. Insgesamt ist er in vier Punkten angeklagt. Dem 70-Jährigen drohen einem Gerichtssprecher zufolge im Fall einer Verurteilung bis zu 25 Jahre Haft und eine Geldstrafe von bis zu 275.000 Dollar. Dabei handele es sich jedoch um das Maximum laut Strafgesetzbuch. Winterkorn sei nicht in Haft, sagte der Sprecher.

Der Top-Manager war im September 2015 von seinem Amt zurückgetreten, kurz nachdem US-Behörden Abgasmanipulationen von zahlreichen Dieselautos bei VW aufgedeckt hatten. VW hatte nur mit einer "Defeat Device" genannten Manipulations-Software die Schadstoff-Grenzwerte eingehalten. In den USA waren rund 600.000 Fahrzeuge betroffen, weltweit etwa 11 Millionen. Winterkorn hatte trotz seines Rücktritts betont, sich keines Fehlverhaltens bewusst zu sein.

Volkswagen betonte in einem Statement seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den US-Behörden. Man kooperiere weiterhin vollumfänglich mit dem US-Justizministerium, teilte das Unternehmen am Donnerstagabend mit. Allerdings sei es nicht angemessen, zu individuellen Verfahren Stellung zu nehmen.

Die Strafanzeige gegen Winterkorn in den USA wurde der Staatsanwaltschaft nach bereits im März gestellt, die erweiterte Anklageschrift aber erst jetzt "enthüllt" und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. VW musste wegen des Skandals hohe Strafen zahlen. Der Konzern hat für Vergleiche mit Klägern in Nordamerika schon über 25 Milliarden Euro an Rechtskosten verbucht. In Europa wollen Anwälte ebenfalls Schadenersatz erstreiten.

Durch die Affäre wurde auch das Image des Diesel schwer beschädigt. Diese Krise hält bis heute an. Die US-Justizbehörden hatten zuvor bereits Strafanzeigen gegen acht amtierende und frühere Mitarbeiter des VW-Konzerns gestellt. Zwei von ihnen, der Ingenieur James Liang und der Manager Oliver Schmidt, wurden im August beziehungsweise im Dezember 2017 zu mehrjährigen Haftstrafen und hohen Geldbußen verurteilt. Es handelte sich um das gleiche Verfahren, das sich nun auch gegen Winterkorn richtet.

Gegen den Ex-VW-Chef und andere Führungskräfte wird auch in Deutschland ermittelt. Zum einen wegen des Anfangsverdachts des Betrugs, zum anderen wegen Marktmanipulation. Anleger klagen wegen erlittener Kursverluste auf Schadenersatz in Milliardenhöhe, da die VW-Aktie nach Bekanntwerden des Skandals auf Talfahrt ging. Die Manager sollen die Finanzmärkte zu spät über die Affäre informiert haben. Der Konzern betont stets, dies rechtzeitig getan zu haben.

Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

Mitte September 2015:  Die US-Umweltschutzbehörde EPA beschuldigt den Volkswagen-Konzern, Diesel-PKWs der Baujahre 2009 bis 2015 mit einer Software ausgestattet zu haben, die die Prüfungen auf US-amerikanische Umweltbestimmungen austrickst. Zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen ist auch das California Air Resources Board (CARB) gekommen. Beide Behörden schicken Beschwerden an VW. (Im Bild: Zentrale der EPA in Washington D.C.)
(Bild: EPA
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Winterkorn hatte bis zu seinem Rücktritt im Herbst 2015 eine glänzende Karriere hingelegt. Zusammen mit dem früheren VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch stand er unangefochten an der Spitze des Autokonzerns - bis zum Ausbruch des Dieselskandals. Der frühere Audi-Chef Winterkorn war zuvor seit 2007 Konzernchef von Europas größtem Autokonzern Volkswagen gewesen.

Nachfolger Winterkorns war im Herbst 2015 der damalige Porsche-Chef Matthias Müller geworden. Müller wiederum war erst vor kurzem von VW-Markenchef Herbert Diess an der Konzernspitze abgelöst worden. Damit verbunden war ein massiver Konzernumbau. Diess hat angekündigt, VW schlagkräftiger zu machen. Das Tempo für Innovationen solle erhöht und neue Akzente gesetzt werden. Die Autobranche ist mitten in einem grundlegenden Wandels, hin zu alternativen Antrieben, immer mehr Internet im Auto und autonomen Fahrzeugen.

Update 5. Mai:

Wie eine Justizsprecherin am Freitag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur bestätigte, erging inzwischen ein Haftbefehl gegen Winterkorn.

Ein Anwalt des inzwischen 70-Jährigen sagte am Freitag der Deutschen Presse-Agentur, man prüfe die Anklage und werde sich "zu gegebener Zeit äußern". Von Winterkorn selbst war keine Stellungnahme zu erhalten.

Aus der niedersächsischen Landesregierung hieß es, man habe die Erhebung der Anklage in den USA "zur Kenntnis genommen". Das Land ist der zweitgrößte VW-Anteilseigner. "Aus Respekt vor den Verfahren der amerikanischen Justizbehörden, aber auch den laufenden Verfahren in Deutschland" wollte eine Sprecherin keine Bewertung abgeben.

Der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Oliver Krischer, bekräftigte seine Kritik auch gegenüber dem CSU-geführten Verkehrsministerium in der Dieselkrise. "Seit dem Bekanntwerden des Abgasskandals betätigt sich die Bundesregierung, insbesondere Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt und sein Nachfolger Andreas Scheuer, als Schutzpatron der Trickser und Betrüger", sagte er der "Rheinischen Post" (Samstag). Es hatte wiederholt Vorwürfe gegeben, das Ministerium und auch das ihm unterstellte KBA nähmen zu viel Rücksicht gegenüber den Autobauern.
(bme)