Autonome Autos mit "durchsetzungsfähigem" Fahrstil

Die Firma Mobileye will eine mathematische Formel entwickelt haben, die den gesunden Menschenverstand für sicheres autonomes Fahren formalisiert.

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Autonome Autos mit "durchsetzungsfähigen" Fahrstil

Bei einem Überholvorgang dürfen autonome Autos nicht zu zaghaft vorgehen.

(Bild: Stefan Krempl)

Lesezeit: 5 Min.
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Der Fahrzeugausrüster Mobileye hat nach eigenen Angaben eine Technik entwickelt, dank der ein selbstfahrendes Auto nicht zum übervorsichtig agierenden Verkehrshindernis werden soll. "Es kann nicht so fahren wie meine Großmutter, es muss selbstbewusst agieren", erklärte Lior Sethon, Vizechef der Zubehörabteilung bei der israelischen Firma, am Donnerstag auf der Interchange Network Conference (ICNC) des E-Roaming-Anbieters Hubject in Berlin. Das 2017 von Intel übernommene Unternehmen habe daher eine mathematische Formel entwickelt, "um den gesunden Menschenverstand für ein sicheres selbstfahrendes Auto zu formalisieren".

Ein menschlicher Fahrer rufe den Lenker im Wagen vor ihm nicht an, wenn er ihn überholen wolle, brachte Sethon ein Beispiel. Ganz ähnlich müsse ein Roboterauto in der Lage sein, "durchsetzungsfähig" zu agieren. Dies sei zu erreichen, indem im Algorithmus menschliche "Verhandlungsfähigkeiten" einprogrammiert würden. Dazu gehöre etwa die Erwartung, dass auf mehrspurigen Straßen das hintere Auto bremse, wenn man ausschere zum Überholen.

Ein Rambo-Robo soll damit laut dem Manager aber nicht das Steuer übernehmen. Mobileye spreche von einer "semantischen Fahrpolitik", der als zusätzliches Sicherheitssiegel ein System für "Responsibility Sensitive Safety" (RSS) übergestülpt werde. Übergeordnetes Ziel sei, dass selbstfahrende Autos niemals Unfälle verursachen sowie angemessen auf Fehler anderer Fahrer reagieren sollten. Die eingebaute Künstliche Intelligenz (KI) müsse fähig sein zu erkennen, ob etwa ein Kind auf die Straße renne oder jemand aggressiv beziehungsweise vorsichtig fahre. Ein Szenario werde dafür mit zahlreichen Untergruppen 100.000 mal durchgespielt und die Software belohnt oder bestraft. Die Erfolgsquote, auf diese Weise in einem sicheren Modus fahren zu können, liege mittlerweile bei 99,95 Prozent.

Auch wenn niemand eine absolute Sicherheit garantiere, könnten autonome Autos die Unfallzahlen um rund 90 Prozent senken, meinte Sethon. Die Fehler, die jährlich weltweit zu rund 1,25 Millionen Verkehrstoten führten, gingen überwiegend auf das menschliche Konto: "Homo Sapiens sind schlechte Autofahrer." Selbst mit einfach nachrüstbaren Warnsystemen, die mit einem Vorlauf von 1,5 Sekunden arbeiteten, könnten heutzutage bereits 90 Prozent der Auffahrunfälle verhindert werden. Die meisten Autos würden aber noch ganz ohne automatisierte Sicherheitsfunktionen und Fahrerassistenzsysteme verkauft, da die Leute lieber Geld in eine schicke Multimedia-Konsole steckten.

Zu den besten Kunden zählt Mobileye daher dem Insider zufolge Betreiber von Firmenflotten oder Nahverkehrsgesellschaften, die ihre Lkws und Busse mit einer zusätzlichen Schutztechnik aufrüsteten, um tote Winkel kontinuierlich zu überwachen. Versicherungen zeigten dagegen noch wenig Interesse an Kooperationen, da sie ihre Geschäftsmodelle nicht ändern wollten. Nur sehr wenige böten Nachlässe für Firmenwagen, die auf Unfallvermeidungstechnik setzten. Trotzdem baue er darauf, dass sich die Akzeptanz für Roboterautos erhöhe, wenn die Zahl der Verkehrstoten mit solchen Systemen deutlich reduziert werde: "Airbags töten auch einige Menschen, aber parallel retten sie viel mehr Leben."

Den Datenschutz sieht Sethon nicht als große Herausforderung. So habe Mobileye etwa ein System zur Geolokalisierung und Umgebungserkennung entwickelt, das auf Crowdsourcing setze und mit der EU-Datenschutzverordnung vereinbar sei. Dieses sammle Informationen über relevante Punkte wie Verkehrszeichen, Schilder oder Straßenlaternen und aggregiere sie in der Cloud.

Die anonymisierten und verschlüsselten Daten würden dann teils an ein Fahrzeug zurückgeschickt für dessen Lokalisierung. "Wir müssen nicht wissen, von welchem Auto die Informationen kommen", unterstrich der Manager. Es gehe ja nicht darum, jemand einen Coupon für ein Schnellrestaurant in der Nähe zu schicken. Die Firma reichere die Daten im Nachhinein ein, sodass eine Ortung mit einer Genauigkeit von bis zu fünf Zentimetern möglich sei, während GPS nur eine Auflösung von fünf bis zehn Metern erreiche.

Die Akzeptanz für selbstfahrende Autos werde spätestens dann kommen, "wenn die Bequemlichkeitsgewinne größer sind als die Fehleranfälligkeit der Systeme", ergänzte Kenneth Malmberg vom kalifornischen Carsharing-Anbieter Ridecell. Die Firma selbst wolle bald autonome Fahrzeuge mit einsetzen und baue dabei auf eine "Service-Cloud", in der Transport nur noch ein Aspekt von vielen sei. So könne ein Restaurant, in dem man essen wolle, etwa gleich die automatisierte Anfahrt mit übernehmen. Um Monopole im Markt für Roboterfahrzeuge zu verhindern, forderte Malmberg einen "gleichberechtigten Zugang zu Daten, die über Sensoren generiert werden". Zugleich müsse der Schutz der Verbraucher verbessert werden, da die Systembetreiber immer genau wüssten, wohin sich jemand mit welcher Geschwindigkeit bewege, und so sehr sensible Informationen horten könnten.

Ein "Wahrnehmungsproblem in der Öffentlichkeit" rund um hochautomatisiertes Fahren machte die FDP-Bundestagsabgeordnete Daniela Kluckert aus. Um Berührungsängste abzubauen, mache es Sinn, mit autonomen U-Bahnen zu starten und entsprechende Projekte später auf Straßenbahnen oder Busse auszuweiten. Wichtig sei es, zwischen anfallenden personenbezogenen Daten und anderen Messwerten zu unterscheiden, um die Betroffenenrechte und Innovationsmöglichkeiten auszutarieren. Zudem müsse sichergestellt werden, dass der Staat keinen Blankozugriff auf all die generierten Bewegungsdaten erhalte. (olb)