Das Ende der Stadt?

Neue Kommunikations- und Verkehrsmittel könnten den Trend zur Urbanisierung stoppen, sagt der Mitgründer des Daten-Unternehmens Teralytics, der sich mit beidem bestens auskennt.

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Von
  • Sascha Mattke

Georg Polzer ist Mitgründer des Schweizer Unternehmens Teralytics, das anonymisiert die Bewegungen von hunderten Millionen Mobiltelefon-Nutzern in Europa, Asien und den USA erfasst. Im Jahr 2015 wurde er als einer der „30 under 30“ des Magazins Forbes ausgezeichnet.

Auf der Konferenz Tech Open Air nächste Woche in Berlin wollen Sie eine Vision vorstellen, laut der im Jahr 2050 keine Städte mehr gebraucht werden. Was hat das von Ihnen mitgegründete Unternehmen Teralytics damit zu tun?

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Wir helfen dabei, mehr Transparenz in die Welt des Transports zu bringen, indem wir Daten über die Mobilität von Menschen sammeln. Anhand von aggregierten, anonymisierten Mobilfunk-Daten können wir erkennen, wie Gruppen sich bewegen und mit welchen Verkehrsmitteln. Diese Daten stellen wir Betreibern von Verkehrsmitteln, Planern und Autoherstellern zur Verfügung.

Und wie sieht Ihre Vision für 2050 konkret aus?

Der Reiz an heutigen Städten liegt darin, dass sie kurze Wege bieten – wenn nicht gerade Stau ist. Im Jahr 2050 wird es aber ganz neue Möglichkeiten für die Verkehrsanbindung geben, und mit unseren Daten ist es möglich, sie entsprechend des Bedarfs zu realisieren. Denken Sie an Hyperloops, Drohnen oder fliegende Autos. Man kann dann im Prinzip in einer Hütte irgendwo im Schwarzwald wohnen und gesünder, grüner und weniger dicht leben. Wenn man etwas braucht, kann man es sich bringen lassen. Wenn man an einen anderen Ort möchte oder muss, kommt man dort problemlos und schnell hin.

Sprechen die Muster, die Sie derzeit beobachten, für eine Entwicklung in diese Richtung?

Noch wachsen die Städte natürlich. Was wir zum Teil schon sehen können, ist ein Wechsel auf Shared Mobility, also die Nutzung von öffentlich verfügbaren Fahrrädern und Autos statt eigener. Aber die Leute bewegen sich immer noch ziemlich unorchestriert und fahren mit Autos herum, in denen vier Sitzplätze unbesetzt sind. Das dürfte sich schon in den nächsten fünf Jahren ändern.

Der Weg von mehr Fahrgemeinschaften zur Auflösung von Städten scheint aber noch weit. Sprechen für Städte nicht noch andere als rein praktische Gründe – Anonymität etwa oder die Möglichkeit, ziellos herumzuwandern und auf interessante Dinge oder Menschen zu stoßen?

Das hat ohne Frage einen Reiz für die Menschen. Aber ich bin nicht sicher, ob es heute überhaupt noch so ziellos vor sich geht wie in der Vergangenheit. Viele Leute lassen sich von Google Maps oder anderen Diensten leiten, wenn sie eine Stadt erkunden. Und andersherum ist es heute eben so, dass man erst einmal in eine Bahn oder ins Auto steigen will, wenn man von der Stadt, in der man lebt, in die Natur will. Das könnte sich einfach umkehren, nur eben mit effizienteren Transportmitteln.

Ein großes Thema bei digitalen Angeboten ist immer der Datenschutz. Wie geht man damit um, wenn das gesamte Verkehrswesen effizient vernetzt und kontrolliert wird? Immerhin geht es hier um viele und sensible Daten.

Das ist sicher richtig. Aber man sollte vielleicht weniger fragen, ob solche Daten erfasst werden dürfen, und eher, was damit passieren darf. Banken zum Beispiel haben schon heute sehr viele sehr persönliche Daten von ihren Kunden, aber der Umgang damit ist stark reglementiert. Eine ähnliche Entwicklung könnte es auch in anderen Bereichen, wie der Analyse von menschlicher Mobilität geben. Aber schon heute gelten dafür strenge Regeln. So müssen unsere Analyse-Verfahren von der Bundesbehörde für Datenschutz und Information abgenommen werden und natürlich auch von den Datenschutz-Abteilungen der Telekom-Unternehmen kontrolliert werden.

Aber was ist, wenn Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf diese Daten verlangen?

Grundsätzlich stellen wir unsere Daten nie für Strafverfolgungs-Zwecke zur Verfügung. Außerdem gilt: Die Daten, die wir sammeln, hat der Staat heute sowieso schon längst. Wenn es einen entsprechenden Gerichtsbeschluss gibt, können Behörden über die Mobilfunk-Anbieter den Aufenthaltsort von Verdächtigen nachverfolgen, viel genauer als mit unseren Daten, die nur auf aggregierter Ebene und ohne Personenbezug vorliegen.

In Zusammenhang mit der Digitalisierung weiter Lebensbereiche ist auch von der Gefahr einer Spaltung zwischen gebildeten und wohlhabenden Bürgern und weniger Privilegierten die Rede. Würden die neuen Möglichkeiten, von denen Sie sprechen, möglicherweise für die einen eine Art Paradies bringen, aber die anderen würden sozusagen in städtischen Rest-Ghettos vegetieren?

Es ist ein großes Anliegen von uns, genau das zu verhindern. Viele neue digitale Dienste kommen nur einem kleinen Teil der Bevölkerung zugute, Analyse menschlicher Mobilität auf Basis von Telekom-Daten aber der gesamten Bevölkerung. Letztlich sorgen wir dafür, dass alle Teile der Bevölkerung Zugang zu günstigen, schnellen Transportmitteln erhalten. Neue Technologien müssen sich meiner Meinung nach daran messen lassen, ob sie zum Beispiel dabei helfen, eine öffentliche Investition von einer Milliarde Euro möglichst effizient einzusetzen.

(sma)