Alles nur simuliert?

Quantencomputer versprechen ungeahnte Rechenleistungen. Der Philosoph Nick Bostrom vermutet, dass wir damit virtuell Bewusstsein erschaffen könnten – und vielleicht sogar selbst schon in einer Cyberwelt leben.

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Alles nur simuliert?

(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Christian Honey

Bostrom ist Professor an der Philosophischen Fakultät der Oxford University. Er ist Gründungsdirektor des dortigen Future of Humanity Institute, in dem Mathematiker, Philosophen und Wissenschaftler über große Fragen unserer Existenz grübeln. Seine Arbeiten zu den Auswirkungen von Zukunftstechnologien, vor allem superintelligenter Maschinen, haben den Physiker und Mathematiker weltbekannt gemacht.

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TR: Professor Bostrom, leben wir in einer Simulation?

Nick Bostrom: Das weiß ich nicht. Aber die Simulationshypothese besagt, dass wir in einer Computersimulation leben könnten, die von einer fortgeschrittenen Zivilisation erschaffen wurde. Darin werden Gehirne so detailliert virtuell nachgeahmt, dass sie Bewusstsein erzeugen und in etwa die Erlebniswelt des Simulators produzieren. In einem solchen Fall spricht man von einer Ahnensimulation. Natürlich könnte ein Simulator auch ganz andere Erlebniswelten erschaffen.

Wirklich neu ist die Idee aber nicht, oder? Immerhin sprach schon Descartes von der Möglichkeit, dass ein böser Dämon unsere Erfahrungen erzeugt.

Das stimmt, aber hinzugekommen ist ein Argument von mir, das die Simulationshypothese als eine mögliche Zukunft beinhaltet. Das Argument basiert auf der Annahme, dass wir grob abschätzen können, welche Rechenleistung eine Zivilisation in diesem Universum mindestens haben wird, sobald sie ihre technische Reife erreicht. Auch die Rechenleistung des menschlichen Gehirns können wir abschätzen. Wenn man diese Werte vergleicht, wird klar, dass eine reife Zivilisation nur einen winzigen Bruchteil ihrer Computer-Ressourcen einsetzen müsste, um viele Billionen menschliche Gehirne zu simulieren.

Nick Bostrom ist Professor an der Oxford University und Gründungsdirektor des dortigen Future of Humanity Institute.

(Bild: Tom Pilston / Washington Post / Getty Images)

Hat also nur ein Bruchteil aller Zivilisationen diesen reifen Zustand erreicht, dann ist es wahrscheinlich, dass wir in einer Simulation leben. Wenn nicht, gibt es nur zwei andere Möglichkeiten: Entweder alle Zivilisationen, die sich auf unserem derzeitigen Stand der technischen Entwicklung befinden, sterben aus, bevor sie technologisch ausgereift sind. Oder technologisch reife Zivilisationen haben kein Interesse an Ahnensimulationen. Die drei Möglichkeiten ergeben eine Gesamtwahrscheinlichkeit von 100 Prozent. Mindestens eine davon muss also wahr sein.

Und welche Option halten Sie für wahr?

Um das zu entscheiden, bräuchte man neue Beweisstücke oder Argumente, die die Wahrscheinlichkeit der Simulationshypothese erhöhen oder verringern.

Zohreh Davoudi, eine theoretische Physikerin vom Massachusetts Institute of Technology, schlägt kosmologische Beweise vor: Sie will hochenergetische kosmische Strahlen untersuchen, um herauszufinden, ob die Raumzeit selbst digital ist. Sie sieht das als möglichen Hinweis auf eine begrenzte Rechenleistung und damit dafür, dass jemand unsere Realität simuliert.

Das wäre kein sehr guter Test. Für kleine Kreaturen wie uns, die im Universum herumschnüffeln, kann die Realität digital erscheinen, ohne dass sie simuliert ist. Umgekehrt kann sie analog erscheinen, obwohl sie digital simuliert ist. Wir können schließlich auch analoge Phänomene auf einem digitalen Computer simulieren. Zum Beispiel kann man die Zahl Pi geteilt durch zwei so berechnen, dass die Antwort richtig ist, obwohl es in einem Computer keinen unendlichen Bitstring gibt.

Was also wäre ein guter Beweis?

Der einfachste Fall wäre natürlich ein großes Fenster, das direkt vor Ihnen auftaucht, in dem steht: "Sie sind in einer Simulation." Jedoch trägt jeder Beweis gegen die beiden anderen Hypothesen indirekt dazu bei, dass die Wahrscheinlichkeit der Simulationshypothese steigt. Nehmen wir an, wir machen als Zivilisation gute technologische Fortschritte und sind bald in der Lage, unsere eigenen Ahnensimulationen zu erstellen.

TR 04/2018

(Bild: 

Technology Review 04/2018

)

Dieser Beitrag stammt aus Ausgabe 04/2018 der Technology Review. Das Heft ist ab 22.03.2018 im Handel sowie direkt im heise shop erhältlich. Highlights aus dem Heft:

Das wäre ein sehr überzeugender Beweis gegen die Hypothese, dass alle Zivilisationen aussterben, bevor sie ihre technologische Reife erreicht haben. Wenn wir dann tatsächlich Ahnensimulationen erstellen, wäre das ein Beweis gegen die Hypothese, dass reife Zivilisationen das Interesse an Ahnensimulationen verlieren.

Wir wüssten zwar immer noch nicht, ob wir in einer Simulation leben. Wir können aber sicher sein, dass es technisch möglich wäre. Was spricht dafür, dass es so weit kommt?

Heutige Simulationen, etwa Computerspiele, sind noch nicht überzeugend. Aber die Geschwindigkeit des Fortschritts in der virtuellen Realität ist riesig: Vor 50 Jahren hatten wir Pong, und jetzt simulieren wir virtuelle Realitäten in 3D. Das macht es wahrscheinlicher, dass wir, wenn wir uns nicht selbst zerstören, irgendwann herausfinden werden, wie man völlig realistische Simulationen von Gehirnen durchführt.

Unterschätzen Sie nicht die Komplexität der Wirklichkeit? Davoudi meint, dass unendlich viel Rechenkraft nötig wäre, um die Prozesse auf mikroskopischer Ebene korrekt zu simulieren.

Das ist ein Missverständnis, das bei Physikern oft aufkommt. Sie denken, dass das Kriterium für den Erfolg einer Simulation sei, dass jedes mikroskopische Phänomen genau abgebildet ist, zum Beispiel jedes kleine Quark im Planeten Saturn. Das ist aber nicht die Art von Simulation, von der ich spreche. Ich stimme zu, dass es völlig undurchführbar erscheint, alle Elementarteilchen in unserer Welt zu simulieren. Ich spreche aber von einer so überzeugenden Simulation, dass bewusste Kreaturen keinen Unterschied bemerken.

Auch unsere aktuellen virtuellen Realitäten werden zum Teil on-the-fly generiert. Bedenken Sie, dass unsere bescheidenen kleinen Gehirne gar keine Supercomputer sind. Trotzdem erschaffen sie eine virtuelle Realität, die ziemlich überzeugend ist, zum Beispiel, wenn wir nachts träumen. Ein echter Supercomputer könnte das leicht schaffen.

Wenn es ihn gibt, warum macht unser Simulator das Leben dann so kompliziert?

Es könnte ja noch viel schwieriger sein! Es gibt viele mögliche Motive, die ein Wesen haben könnte, diese Welt so komplex erscheinen zu lassen. Ein mögliches Motiv ist, etwas zu schaffen, das nah an der eigenen historischen Wirklichkeit liegt. Dann würde der Simulator auch alle Beschränkungen einbauen, denen seine eigenen Vorfahren ausgesetzt waren.

Was wäre dann der Unterschied zwischen Simulationshypothese und Religion?

Schließlich gehen beide von einem allwissenden Wesen aus, das alles kontrolliert und sieht, das Wunder vollbringen und strafen kann. Es gibt tatsächlich einige Parallelen zwischen der Simulationshypothese und traditionellen religiösen Vorstellungen. Eine ist, dass der Teil der Welt, den wir wahrnehmen, von einem intelligenten Designer erschaffen wurde. Eine andere ist, dass dieser hypothetische Schöpfer vermutlich superintelligent ist.

Der Simulator hätte auch die Fähigkeit, in unsere Welt in einer Weise einzugreifen, die den bekannten Gesetzen der Physik widerspricht. Es gibt aber auch Unterschiede. Die traditionelle christliche Auffassung von Gott besteht ja darin, dass Gott buchstäblich unendlich, allmächtig und allwissend ist. In der Simulationshypothese, zumindest in ihrer einfachsten Form, wäre das aber nicht der Fall. Die Simulatoren wären den physikalischen Grenzen ihres eigenen Universums unterworfen. Sie wären also nicht wirklich allmächtig oder allwissend. Das wären sie nur in Bezug auf unser Universum.

Und was, wenn die Realität der Simulatoren selbst simuliert ist? Hier sieht der MIT-Physiker Max Tegmark die Bruchstelle der Simulationshypothese: dass man niemals wissen kann, ob die Simulationen irgendwo aufhören.

Verschachtelte Simulationen sind eine Möglichkeit. Aber die Gesamtkosten aller Simulationen in einer verschachtelten Hierarchie müssen von einer nicht-simulierten Fundamentebene getragen werden. Wenn die Rechenleistung im Fundament-Universum endlich ist, dann ist auch die Menge möglicher verschachtelter Simulationen endlich. Wenn die Rechenleistung auf der Fundamentebene dagegen unendlich ist, könnte es eine unendliche Zahl von Simulationen in Simulationen geben.

Das scheint zumindest in unserem Universum unmöglich. Aber ich gebe zu: Wir sind uns dessen noch nicht hundertprozentig sicher. Aufgrund unserer positiven kosmologischen Konstante scheint unser Universum auf Dauer auseinanderzufliegen. Daher sieht alles danach aus, dass die Menge Materie und Energie, auf die wir zugreifen können, kleiner wird. Aber wir haben noch keine vollständige Theorie der Quantengravitation. Es könnte also ein Phänomen existieren, das eine unendliche Rechenleistung ermöglichen würde.

Würde es Sie beunruhigen, wenn dies tatsächlich eine Simulation wäre?

Ich denke, wir würden uns schnell daran gewöhnen. Aber natürlich gibt es einige Konsequenzen, die beunruhigend sind. Unsere ganze Welt könnte plötzlich aufhören zu existieren, wenn einer den Stecker zieht.

Können wir etwas dagegen tun?

Das ist schwer zu sagen. Um nicht von unseren Simulatoren abgeschaltet zu werden, sollten wir sie nicht langweiligen. Es kann also sinnvoll sein, viele interessante Dinge tun. Zugleich sollten wir dabei nicht zu viel Rechenleistung beanspruchen. Im Moment besitzen unsere Rechenzentren, Server und PCs zusammen immer noch deutlich weniger Rechenleistung als die sieben Milliarden menschlichen Gehirne. Allerdings könnten wir für unseren Simulator zu teurer werden, wenn wir mit dem Bau von riesigen Supercomputern beginnen.

(bsc)