Selbstfahrende Autos brauchen wohl doch keinen Augenkontakt

Blickkontakt ist im Straßenverkehr weniger wichtig als angenommen. Das zeigen Beobachtungen in München, Athen und Leeds.

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Kind schielt auf einen auf der Stirn sitzenden Marienkäfer

(Bild: gemeinfrei)

Lesezeit: 3 Min.

Dr. Natasha Merat ist Professorin an der Universität Leeds. Im Rahmen des EU-Projekts InterACT untersucht sie das Verhalten von Radfahrern und Fußgängern beim Überqueren von Kreuzungen.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Mangels menschlicher Augen können autonome Fahrzeuge mit anderen Verkehrsteilnehmern keinen Blickkontakt aufnehmen. Das wurde als Sicherheitsproblem eingestuft. Doch neue Forschungsergebnisse legen nahe, dass die Bedeutung des Blickkontakts überschätzt wurde. "Wie wir jetzt herausgefunden haben, verwenden die Leute keinen Blickkontakt per se", berichtete die britische Experimentalpsychologin Natasha Merat auf dem Automated Vehicles Symposium in San Francisco, "sondern sie (orientieren sich) am Verhalten der Fahrzeuge, ob diese abbremsen oder nicht."

So überquerten Fußgänger diese Kreuzung in Leeds, England.

(Bild: Interact)

Merat und ihre Kollegen haben Fußgänger und Radfahrer beim Überqueren von Kreuzungen in München, Athen und Leeds beobachtet, unter anderem durch Auswertung von Videoaufzeichnungen und Lidar-Daten. "Wir wollten eine nordeuropäische und eine südeuropäische (Stadt), um zu sehen, ob es kulturelle Unterschiede beim Überqueren von Kreuzungen gibt und wie die Leute interagieren", erläuterte sie im Interview mit heise online.

Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede im Verkehrsverhalten nicht nur zwischen Ländern, sondern auch schon zwischen verschiedenen Gebieten innerhalb ein und derselben Stadt. Die Bilder zeigen die von Fußgängern gewählten Weg über eine Kreuzung in Leeds und eine in München. In England gab es deutlich weniger Varianz, als in Bayern.

In München sah die Sache schon anders aus.

(Bild: Interact)

Auch Handgesten spielen laut vorläufigen Ergebnissen keine große Rolle, von "Danke"-Gesten nach einer bereinigten Situation abgesehen. "Sowohl Fahrzeuglenker als auch Fußgänger schauen viel mehr auf die Fortbewegung der anderen. Es gibt keine echte explizite Kommunikation", so Merat, "Köpfe, Augen und Hände kommen nur ins Spiel, wenn Menschen (bei geringen Geschwindigkeiten) in Konfliktsituationen geraten, wenn zwei den selben Raum einnehmen wollen und einer ausweichen muss."

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Sobald Kfz 20 km/h oder mehr fahren, konzentrieren sich Fußgänger auf die Vermeidung einer Kollision. Sie warten auf Lücken im Fahrzeugfluss und gehen nicht mehr davon aus, dass nachfolgende Fahrzeuge auf Fußgänger reagieren. Außerdem wurde deutlich, dass die Menschen nicht bewusst handeln: In Interviews beschreiben sei ihr eigenes Verhalten beim Überqueren von Kreuzungen anders, als sie es tatsächlich handhaben.

Trotz ihrer neuen Erkenntnisse hält Prof. Merat Interfaces außen an autonomen Fahrzeugen weiterhin für wichtig. Sie sollen menschlichen Verkehrsteilnehmern signalisieren, was das fahrerlose Kfz zu tun gedenkt. Das ist vor allem dann wichtig, wenn sich das aus dem Verhalten des Fahrzeuges nicht unmittelbar ableiten lässt, beispielsweise wenn ein Auto nicht vorhat, anzuhalten oder Fußgängern auszuweichen, aber aus einem anderen Grund bremst.

Mehrere Autohersteller forschen derzeit, wie diese Signale gestaltet sein sollen, um in unterschiedlichen Kulturkreisen verstanden zu werden. Vor Handlungsanweisungen warnt Merat: Die autonomen Fahrzeuge sollten Fußgängern keinesfalls signalisieren, dass es nun sicher sei, über die Straße zu gehen. Alleine schon aufgrund der Tatsache, dass undeutlich bleibe, an welchen von mehreren Fußgängern sich so eine Botschaft richten würde.

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(ds)