Analyse zum BGH-Urteil: Störerhaftung durch neue Rechtsunsicherheiten ersetzt

Der BGH hat mit seinem heutigen Urteil zwar die Abschaffung der Störerhaftung bestätigt, aber an anderer Stelle sorgt für neue Rechtsunsicherheiten.

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Bundesgerichtshof

(Bild: dpa, Uli Deck)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Holger Bleich
Inhaltsverzeichnis

Der Weg einer juristischen Auseinandersetzung durch die Instanzen dauert meist mehrere Jahre, bevor die endgültige Entscheidung fällt. Knifflig wird es für die Gerichte, wenn sich währenddessen die Rechtslage gravierend ändert. Mit einem solchen Fall musste sich der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in den vergangenen Monaten beschäftigen. Wieder einmal ging es um die Haftung für die urheberrechtswidrige Nutzung einer Tauschbörse.

Eine Analyse von Holger Bleich

Holger Bleich schreibt seit 1999 für c't und heise online. Den Schwerpunkt bilden Technik-Themen wie Internet-Protokolle und Webhosting. Aus seinem Studium hat sich der diplomierte Politikwissenschaftler sein Interesse für juristische und kulturelle Aspekte der Netznutzung sowie für Netzpolitik erhalten.

Eine Anwaltskanzlei hatte für den Software-Publisher Koch Media einen Anschlussinhaber abgemahnt, weil er das Spiel "Dead Island" am 6. Januar 2013 über seine IP-Adresse zum Upload angeboten haben soll. Die Kanzlei hatte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zur Zahlung von Anwaltskosten und Schadensersatz aufgefordert.

Der Anschlussinhaber weigerte sich. Seine Begründung: Er selbst habe die Tat nicht begangen, allerdings betreibe er fünf öffentlich zugängliche WLAN-Hotspots sowie zwei Tor-Exit-Nodes unter der IP-Adresse. Das Landgericht (LG) und 2017 in der Berufung auch das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf wandten auf den den Fall das Konstrukt der Störerhaftung an und gaben Koch Media Recht. Der Beklagte habe es pflichtwidrig unterlassen, seinen Internetanschluss gegen die missbräuchliche Nutzung durch Dritte zu schützen.

In der Revision hatte der BGH nun zu prüfen, ob das OLG Düsseldorf geltendes Recht korrekt angewandt hat. Allerdings trat im Oktober 2017 eine von der großen Koalition initiierte Gesetzesänderung in Kraft, die WLAN-Betreiber aus der Störerhaftung nimmt ("3. TMGÄndG"). Eine Änderung an Paragraf 8 des Telemediengesetzes (TMG) bezieht Betreiber von privaten oder kommerziellen WLAN-Hotspots ausdrücklich in das Haftungsprivileg ein, das zuvor nur für Provider galt. WLAN-Betreiber können also für fremde Taten nicht mehr wegen Unterlassung oder Schadensersatz belangt werden, außerdem müssen sie keine Anwalts- oder Gerichtskosten übernehmen.

Obwohl im konkreten Fall die Tat bereits fünf Jahre zurückliegt, hat der BGH in der mündlichen Verhandlung am 21. Juni angekündigt, dass er die neue Rechtslage erstmals berücksichtigen wird. Die juristische Fachwelt war gespannt, ob das mehrfach nachgebesserte GroKo-Gesetz zur Abschaffung der Störerhaftung diesen Lackmustest bestehen würde.

Im am heutigen Donnerstag verkündeten Urteil hob der BGH die Verurteilung zur Unterlassung tatsächlich auf. Wörtlich teilte er mit: "Ist eine Handlung im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nicht mehr rechtswidrig, kommt die Zuerkennung eines Unterlassungsanspruchs nicht in Betracht." Allerdings muss der Beklagte in diesem Fall dennoch die gegnerischen Anwaltskosten tragen, weil zum Zeitpunkt der Abmahnung eben noch das alte Recht gegolten habe und der Anspruch deshalb rechtmäßig sei.

Die gute Nachricht ist also, dass der BGH heute die Abschaffung der Störerhaftung beim Betrieb von WLAN-Hotspots höchstinstanzlich bestätigt hat. Teuren Massenabmahnungen dürfte er damit den Garaus gemacht haben.

Allerdings hat die Sache einen Pferdefuß: Damit die TMG-Änderungen europarechtskonform sind, musste der Gesetzgeber auch die Interessen der Rechteinhaber im Blick behalten. Der Europäische Gerichtshof hatte erst kurz zuvor entschieden, dass der Anschlussinhaber nicht komplett aus der Verantwortung genommen werden darf. Eine Pflicht zur präventiven Absicherung des WLANs mit einem Zugangspasswort hätte dem erklärten Ziel, den angstfreien Betrieb offener WLANs zu fördern, jedoch im Wege gestanden.

Die GroKo entschied sich für ein "milderes Mittel", wie es wörtlich in der Gesetzesbegründung heißt: In Paragraf 7, Abs. 4 TMG wurde Rechteinhabern die Möglichkeit eingeräumt, vom WLAN-Betreiber eine Sperre gegen die künftige Wiederholung der Rechtsverletzung zu errichten. "Die Sperrung muss zumutbar und verhältnismäßig sein. Ein Anspruch gegen den Diensteanbieter auf Erstattung der vor- und außergerichtlichen Kosten für die Geltendmachung und Durchsetzung des Anspruchs besteht nicht."

Was der Gesetzgeber unter "zumutbar" versteht, erläuterte er auch in der Begründung, nämlich "zum Beispiel Nutzungssperren bestimmter Ports am Router, die dazu führen würden, dass bestimmte Webseiten durch WLAN-Nutzer nicht mehr aufgerufen werden können. Dadurch könnte der Zugriff auf Webseiten, über die Urheberrechtsverletzungen begangen wurden (z. B. illegale Tauschbörsen), direkt am Router gesperrt werden."

Der BGH scherte sich nun aber nicht um diesen unverbindlichen Begründungstext. Er legt den Begriff "Sperrung" wesentlich weiter aus – wohl auch, um dem EU-Recht Genüge zu tun: "Der Anspruch auf Sperrmaßnahmen ist nicht auf bestimmte Sperrmaßnahmen beschränkt und kann auch die Pflicht zur Registrierung von Nutzern, zur Verschlüsselung des Zugangs mit einem Passwort oder – im äußersten Fall – zur vollständigen Sperrung des Zugangs umfassen", erläuterte er in seiner Mitteilung zum Urteil.

Während der BGH damit der Störerhaftung von WLAN-Anbietern den finalen Todesstoß versetzt, schafft er also zugleich in anderen Bereichen neue Rechtsunsicherheit. Denn wer welche Sperrmaßnahmen ergreifen muss, ist auch nach der Entscheidung weitgehend unklar.

Zugleich erweitert der BGH den Umfang solcher Blockaden um Maßnahmen, die der Gesetzgeber mit der Rechtsänderung im TMG eben genau verhindern wollte. Neben den privaten WLAN-Anbietern könnten auch große Zugangs-Provider wie die Deutsche Telekom betroffen sein. Sie müsste möglicherweise in ihrem gesamten Netz den Zugang zu einzelnen Websites mit urheberrechtlich fragwürdigen Inhalten sperren.

Die Frage, ob im konkreten Fall Anspruch auf eine Sperrmaßnahme besteht und falls ja, wie diese konkret auszusehen hat, lässt der BGH allerdings offen. Er hat sie zur Prüfung ans OLG Düsseldorf zurückverwiesen, welches nun erneut entscheiden muss. (hob)