Probelauf: Erste selbstfahrende Straßenbahn in Potsdam unterwegs

Die "weltweit erste autonom fahrende" Tram hat eine öffentliche Testfahrt in Potsdam absolviert. Die Technik stammt von Siemens Mobility.

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Probelauf: Erste selbstfahrende Straßenbahn in Potsdam unterwegs

(Bild: Siemens)

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Noch bis zum Freitag ist in Potsdam im Rahmen der Bahntechnikmesse Innotrans im nahen Berlin die mögliche Zukunft des Tramverkehrs zu besichtigen. Auf einer sechs Kilometer langen Strecke, über die zudem ganz normal Wagen der Linien 92 und 96 rollen, präsentiert Siemens Mobility in der brandenburgischen Hauptstadt die nach eigenen Angaben "erste autonom fahrende Straßenbahn der Welt" in Kooperation mit dem ViP Verkehrsbetrieb Potsdam. Die Gesellschaft hat für das Projekt eine Tram vom Typ Combino zur Verfügung gestellt, die vor Ort seit 1996 unterwegs ist und von Siemens technisch hochgerüstet wurde.

Das Testfahrzeug, das seit dem Frühjahr probeweise bereits rund 3000 Kilometer zurückgelegt hat, verfügt über neun Kameras vorne und an den Seiten sowie drei Radar- und Laser-Systeme, zu denen auch ein Lidar-Scanner gehört. Sie sollen als die "digitalen Augen" des Prototypen dienen und sein Verkehrsumfeld erfassen. Dazu kommt ein derzeit noch schrankgroßes Rechensystem, das die ihm gelieferten Aufnahmen und Informationen auswertet und schematisch Objekte auf einem Kontrollbildschirm anzeigt.

Innerhalb der Rechnereinheit interpretieren und bewerten laut Siemens komplexe Algorithmen die jeweilige Fahrsituation, geben eine Prognose zur weiteren Entwicklung ab und lösen die erforderliche Reaktion der Tram aus. Dank Künstlicher Intelligenz werde dabei etwa auf Straßenbahnlichtsignale geachtet, an den Haltestellen gestoppt und eigenständig auf Gefahren wie kreuzende Fußgänger und Fahrzeuge reagiert.

Eine erste öffentliche Probefahrt bestand die umgebaute Bahn laut Berichten lokaler Medien am Montag. Ein Fahrer, der die ganze Zeit an einem Not-Steuerpult saß, habe den Combino manuell noch vom Betriebshof auf die Strecke gebracht und ihn dann auf der normalen Strecke "sich selbst" überlassen, heißt es. Das KI-System habe "jede Ampel, jedes Signal, jede Kreuzung, jeden Schienenübergang, alle Wartenden an den Haltestellen" erkannt, von allein beschleunigt und gebremst und jeden angeklingelt, der in den Kollisionsbereich geraten sei.

Die Kameras und Scanner registrieren den Meldungen zufolge alles, was sich nicht jenseits einer Höhe von 1,50 Meter befindet und mindestens so groß ist wie eine Katze. Kleinere Vögel oder fallende Blätter würde das System also ignorieren. Die implementierte Technik könne 100 Meter weit vorausschauen, was bei einem Bremsweg von maximal 80 Meter genügend Puffer biete, um auf Hindernisse zu reagieren. Einen abrupten Halt habe die Bahn so vor einem Kinderwagen hingelegt, den eine Siemens-Mitarbeiterin auf die Schienen geschoben habe, sowie vor einem Auto, das etwas verspätet an einer Ampel noch rasch die Gleise überqueren wollte.

Die nicht genannten Kosten für das Pilotprojekt hat Siemens übernommen. Konzernvertreter betonten, dass das vorgeführte Fahrzeug noch nicht für den kommerziellen Einsatz ausgelegt sei. Ziel des Entwicklungsprojekts sei es, die "technologischen Herausforderungen des autonomen Fahrens unter realen Einsatzbedingungen zu erfassen, Lösungsansätze dafür zu entwickeln und zu testen". Bis Straßenbahnen planmäßig ohne Fahrer unterwegs seien, dürfte noch viel Wasser die Havel hinunterlaufen. So müssten auch erst die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden. Eine Mitnahme regulärer Fahrgäste etwa sei bislang nicht zulässig.

Arbeiten am "autonomen" Trambetrieb hinken Entwicklungen im Bereich von U-Bahnen oder Zubringerbahnen bislang hinterher, da die Tram-Fahrzeuge in der Regel keine vom übrigen Verkehr abgeschotteten Gleise haben und daher besonders hohe Reaktionsfähigkeiten gefragt sind. Auch bei Siemens liegt der Schwerpunkt noch auf einem Kollisionswarnsystem für Trams, das unter anderem in Ulm zum Einsatz kommt. Mit dem ViP bespricht der Konzern aber momentan, ob die Zusammenarbeit für die selbstfahrende Straßenbahn fortgeführt werden soll. (axk)