Gurt oder Leben

Freie Fahrt für freie Bürger? Das darf nicht so weit gehen, dass man sich selbst von der Anschnallpflicht befreit.

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Von
  • Anton Weste

"Das größte Problem sitzt vor dem Monitor", sagen IT-Sicherheitsexperten gerne, wenn es um Cybersicherheit geht. Und drücken damit aus, dass alle ausgeklügelten Sicherheitsarchitekturen wenig nützen, wenn der User nicht mitmacht. Hier geht es um Datenlecks, Viren und Trojaner. Aber übertragen auf den Straßenverkehr wird dieses Phänomen schnell zu einer Frage von Leben und Tod.

Wie der Guardian meldet, waren in Großbritannien im Jahr 2017 ganze 27 Prozent aller Fahrzeuginsassen, die bei Unfällen ums Leben kamen, nicht angeschnallt. Ein trauriger Spitzenwert seit Beginn der Aufzeichnung dieses Details. Auch in Deutschland ist das Bild nicht besser: 28 Prozent aller im Straßenverkehr Getöteten waren nicht oder falsch angeschnallt. Rund 200 Verkehrstote und 1.500 Schwerverletzte könnten hierzulande jährlich verhindert werden, wenn sich alle Fahrzeuginsassen korrekt anschnallen würden, so die Unfallforschung der Versicherer (UDV).

Der Sicherheitsgurt gilt als die bedeutendste Einzeltechnologie, um den tödlichen Ausgang eines Unfalls für Fahrzeuginsassen zu verhindern. 1985 wählte das Deutsche Patentamt den Dreipunkt-Sicherheitsgurt zu einer von acht Erfindungen, die in den vorausgegangenen hundert Jahren den größten Nutzen für die Menschheit brachten. Und natürlich: Seit 1976 gilt die Gurtpflicht. Warum also glauben immer mehr Menschen, auf das Anschnallen verzichten zu können?

Die Auswertung der UDV ergibt, dass die meisten Opfer auf dem Fahrersitz saßen (43%), gefolgt von Insassen auf den Rücksitzen (36%) und Beifahrern (21%). Zwei Drittel der Opfer sind männlich. Eine Umfrage ergab, dass Gurtverweigerer glaubten, bei innerstädtischen Geschwindigkeiten ausreichend geschützt zu sein. Ist doch so langsam, da passiert schon nichts. Auch waren Fahrer sehr viel häufiger nicht angegurtet, wenn sie allein im Fahrzeug waren. Mitfahrende üben also eine soziale Kontrollfunktion aus. Es zeigt sich anscheinend eine eklatant schlechte Risikoeinschätzung bei Gurtverweigerern. Gleichzeitig ist ihnen sehr wohl bewusst, dass es nicht cool ist, was sie da tun. Ah, ein Mitfahrer. Na, dann schnall ich mich mal lieber auch an. Höhere Strafen schrecken hingegen laut Umfrage nicht ab, die Wahrscheinlichkeit einer Kontrolle gilt als zu gering.

Nun könnte man sagen: Selbst Schuld. Wer sich unbedingt für den Darwin-Award bewerben und sein Leben unnötig riskieren möchte, soll dies doch tun. Aber eine Gesellschaft hat bis zu einem gewissen Grad die Aufgabe, seine Mitglieder vor dummen Entscheidungen zu bewahren. Darum fordern Unfallforscher, die Gurtquote zu verbessern: Die Industrie sollte alle Sitzplätze verpflichtend mit Gurtwarnern ausstatten, die sich nicht durch eingesteckte Gurtschlösser manipulieren lassen. Außerdem soll das Bewusstsein für das Problem durch Medienkampagnen gestärkt werden: Die einzige Freiheit beim Fahren ohne Gurt besteht darin, sich von seinem Verstand zu befreien.

(anwe)