Stahl produzieren ohne Koks

Bei der Herstellung von Stahl fallen hohe Kohlendioxid-Emissionen an. Eine Ausgründung aus dem MIT will das mit einem grundlegend neuen Verfahren ändern – doch dabei gibt es nicht nur technische Herausforderungen.

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Stahl produzieren ohne Koks

(Bild: Boston Metal)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • James Temple

Ein dicker Block aus dunkelgrauem Stahl liegt auf einer Werkbank im Labor von Boston Metal, einer Ausgründung aus dem MIT, gelegen eine halbe Stunde nördlich von der Stadt, von der sie ihren Namen hat.

Es ist das erste Stück einer hochfesten Legierung, die das Unternehmen mit einem neuen Ansatz für die Metall-Verarbeitung produziert hat. Statt einen Hochofen zu nutzen, wie es in der Stahlproduktion seit Jahrzehnten üblich ist, hat Boston Metal etwas entwickelt, das eher einer Batterie ähnelt. Konkret ist es eine Elektrolysezelle, die für die Verarbeitung von Eisenoxid Strom statt Kohlenstoff nutzt.

Wenn die Technologie im großen Maßstab so billig funktioniert, wie die Gründer des Unternehmens hoffen, hätte das auch ökologische Vorteile: Sie würde einen klaren Weg zur Verringerung von Treibhausgas-Emissionen in einem Sektor aufweisen, der mit am schwierigsten umweltfreundlicher zu machen ist und zu den größten Einzel-Verschmutzern aus der Industrie zählt.

Nachdem das Team aus neun Personen in den vergangenen sechs Jahren an seiner Idee gearbeitet hat, geht es jetzt in die nächste Phase über: Wenn die laufende Finanzierungsrunde abgeschlossen ist, will es eine große Demonstrationsanlage bauen und eine Zelle für die Stahlproduktion im industriellen Maßstab entwickeln.

Emissionen verringern

Beim heute wichtigsten Verfahren zur Stahlproduktion wird Eisenoxid zusammen mit Koks – einer harten, porösen Substanz auf der Grundlage von Kohle – in einen Hochofen eingebracht. Bei hohen Temperaturen wird aus dem Koks Kohlenmonoxid, das dem Eisen Sauerstoff entzieht. So entsteht ein Zwischenprodukt, das als Roheisen bezeichnet wird – und außerdem Kohlendioxid, das in die Atmosphäre entweicht.

Durch diese und andere Prozess-Schritte gelangen pro Jahr rund 1,7 Gigatonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre, was laut einem aktuellen Fachaufsatz in Science die weltweiten Emissionen um rund 5 Prozent erhöht. Und dabei sind noch nicht einmal die Brennstoffe berücksichtigt, die für den Hochofen selbst benötigt werden.

„Autos, Gebäude und Brücken sind ziemlich darauf angewiesen, dass es Stahl gibt“, sagt Steven Davis, Hauptautor der Studie und Erdsystem-Wissenschaftler an der University of California in Irvine. „Wenn sich das nicht ändert, und danach sieht es nicht aus, müssen wir eine Möglichkeit finden, den Herstellungsprozess zu dekarbonisieren.“

Für eine Stahlproduktion ganz ohne Kohlendioxid-Emissionen müsste das Gas entweder eingefangen werden, bevor es das Stahlwerk verlässt, doch das ist sowohl teuer als auch technisch schwierig. Oder man nutzt andere Materialien, um den Sauerstoff aus dem Eisenoxid zu holen.

Mutiges Projekt

Donald Sadoway, ein Chemiker am MIT, begann Mitte der 2000er Jahre, an einer Lösung dafür zu arbeiten – unbeabsichtigt.

Die NASA hatte damals ein Preisgeld von 250.000 Dollar für das erste Forschungsteam ausgeschrieben, das eine Möglichkeit findet, Sauerstoff aus der Oberfläche des Mondes zu gewinnen – eine Voraussetzung für den Bau von Mond-Basen. Sadoway schlug dafür eine Elektrolysezelle vor. Als Nebenprodukt entstand dabei geschmolzenes Metall, was den Forscher auf die Idee brachte, einen ähnlichen Ansatz für die Verarbeitung von Metallen auf den Erde zu erkunden.

Für die Produktion von Stoffen wie Stahl brauchte es allerdings eine Anode aus billigen Materialien, die auch bei hohen Temperaturen nicht korrodieren und nicht zu bereitwillig mit Eisenoxid reagieren. Im Jahr 2013 veröffentlichten Sadoway und Antoine Allanore, ein Metallurgie-Forscher am MIT, in Nature einen Fachaufsatz, in dem sie ihre Lösung dafür vorstellten: Anoden aus Legierungen auf Chrom-Basis sollten alle Anforderungen erfüllen.

Im Jahr zuvor hatten Sadoway, Allanore und ein weiterer Partner zusammen bereits das Start-up Boston Electrometallurgical gegründet, aus dem später Boston Metal wurde.

Bislang hat das Unternehmen 13 Millionen Dollar Kapital aufgenommen, hauptsächlich von dem brasilianischen Investor Ingo Wender, dem US-Energieministerium und der National Science Foundation. Eine weitere Finanzierung ist noch nicht endgültig verhandelt, und bis dahin will das Unternehmen nicht verraten, woher sie kommt.

Eine zögerliche Branche

Eine der Elektrolysezellen von Boston Metal lässt sich in einem Hinterzimmer betrachten: ein kompakter Metall-Zylinder mit einer schornsteinartigen Röhre an der Oberseite und einer eiförmigen Öffnung vorne. Ausgelegt ist sie auf die Produktion von Ferrolegierungen, einem teuren Material, das für bestimmte Stahlsorten benötigt wird – der erste Zielmarkt des Start-ups.

Bei dem „Schornstein“ handelt es sich in Wirklichkeit um eine Anode, die Kathode bildet eine dünne Schicht Metall am Boden. Diese positiven und negativen Elektroden wirken zusammen wie eine Art Pumpe, die Elektronen durch das Elektrolyt – eine Mischung aus metallischen Mineralien und anderen Oxiden – in der Kammer treibt.

Die genauen Stoffe im Elektrolyt sind ein entscheidender Bestandteil der Kerntechnologie von Boston Metal. Im Fall von Stahl dienen die anderen Oxide als Lösungsmittel bei hohen Temperaturen; sie lösen das Eisenoxid auf, ohne selbst zu zerfallen.

Wenn eine elektrische Spannung diese Suppe aufheizt, steigt aus dem Eisen befreiter Sauerstoff in Blasen auf, das entstehende Metall sammelt sich am Boden. Wenn der Bediener dann eine Sperre in dem Loch vorne öffnet, fließt in einem glühenden Strom geschmolzenes Metall heraus.

Ein Vorteil der Nutzung von Kohlenstoff bei der Stahlproduktion besteht darin, dass er dem Endprodukt Festigkeit verleiht, zumindest in den richtigen Anteilen. Bei Boston Metal können Kohlenstoff und andere Stoffe einfach bei der Abkühlung des Metalls dazugegeben werden, wie der Strategiechef Adam Rauwerdink erklärt.

Manche Beobachter fragen sich allerdings, ob sich die notorisch konservative Stahlindustrie davon überzeugen lässt. Schließlich produziert sie ein Material, das unter anderem Wolkenkratzer tragen muss.

„Auf einer bestimmten Ebene wird Kohlenstoff für die mechanischen Eigenschaften des Stahls selbst gebraucht“, sagt Nathan Lewis, ein Chemiker am California Institute of Technology. „Verständlicherweise zögert die Industrie damit, ihren Prozess zu verändern.“

Die nächsten Schritte

Im vergangenen Jahr ist Tadeu Carneiro als Chief Executive Officer zu Boston Metal gestoßen. Zuvor war er Chef von CBMM aus Brasilien, dem größten Produzenten von Niob, einem Metall, das für supraleitende Legierungen verwendet wird.

Carneiro trägt eine dunkle, schwere Brille über dunklen, dichten Augenbrauen und schreibt chemische Formeln auf ein Whiteboard, während er mit brasilianischem Akzent die Geschäftsstrategie des Unternehmens erklärt. Für die nächsten drei Jahre ist der Bau einer Demonstrationsanlage zur Produktion von Ferrolegierungen geplant, sagt er. Außerdem will Boston Metal anfangen, eine Zelle für die Stahlproduktion zu entwickeln und zu realisieren. Dieser Meilenstein soll nach sieben Jahren erreicht sein.

Wenn das Unternehmen diese Pläne umsetzt, könnte es anschließend unterschiedliche Geschäftsmodelle verfolgen. Es könnte Lizenzen für die Technologie vergeben, Partnerschaften mit Metall-Herstellern schließen, Zellen verkaufen oder selbst Metalle produzieren.

Doch wie immer in der Wissenschaft kann man nicht sagen, wie gut das Produkt wirklich sein und was es kosten wird, bevor es wirklich im industriellen Maßstab hergestellt und getestet wurde. Zudem wird es für eine Transformation der Stahlbranche nicht ausreichen, nur eine umweltfreundlichere Version für ungefähr denselben Preis anzubieten: In Stahlwerken stecken Milliarden an alten Investitionen, und sie können jahrzehntelang laufen – und ein Großteil der Branche ist in relativ armen Ländern angesiedelt oder steckt in finanziellen Schwierigkeiten.

„Selbst wenn heute die perfekte Technologie herauskäme, würde es bis zu einem effektiven Umstieg darauf wahrscheinlich Jahrzehnte dauern“, sagt Davis.

Viele Herausforderungen

Carneiro räumt ein, dass das Unternehmen noch eine Reihe von technischen Herausforderungen meistern muss, unter anderem die Verbesserung der „Faraday'schen Effizienz“ – dies brächte einen höheren Anteil an Elektronen, die tatsächlich Metall produzieren. Ebenfalls auf der Agenda steht mehr thermische Effizienz, also die Verringerung des Energiebedarfs für eine bestimmte Menge Metall, und die Vergrößerung der Anode aus einer Chrom-Legierung, die bisher nur im Labormaßstab existiert.

Doch der CEO ist optimistisch, dass Boston Metal diese Herausforderungen in den Griff bekommt. Man werde beweisen, dass die Technologie billiger ist und die Branche letztlich davon überzeugen, auf den neuen Ansatz umzusteigen, sagt er.

Den gesamten Sektor mit seinem Umsatzvolumen von fast 1 Billion Dollar zu transformieren, ist trotzdem ein ehrgeiziges Vorhaben. Doch wenn es dem Start-up gelingt, seinen Prozess im industriellen Maßstab zum Laufen zu bringen, könnte es zumindest ein wenig Hoffnung wecken, dass einer der schwierigsten Aspekte des Klima-Puzzles wirklich zu lösen ist.

(sma)