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Was war. Was wird. Was haben wir gelacht, nicht nur bei Samstag Nacht.

Zwischen Geschichtsrevisionismus und Wiederbelebung alter Säcke taumelt die Republik, entsetzt sich Hal Faber - andere Länder haben's aber auch nicht einfach.

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Keller, Gewölbe, Geschichte

Da ist gut taumeln, auch wenn's kein Weinkeller ist.

(Bild: gemeinfrei)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

(Bild: "Karl Ranseier ist tot" )

*** Na, es war doch gar nicht so schlimm mit der Zeitumstellung auf die Winter..., ähh, die Normalzeit. Fast alle Uhren schafften das, auch wenn sie nicht, wie der Digital-Rollzahlenwecker von Sankyo im letzten WWWW "ganggenau wie das Sonnensystem" waren. Horas non numero nisi aestivus, wie der Lateiner so sagt. Außerdem verlief alles friedlich, ganz im Gegensatz zum 6. April 1916, als auf Befehl von Kaiser Wilhelm II die "Kriegszeit" am 30. April eingeführt wurde und die Frankfurter Zeitung jubelte, wie man nun den Engländern den Garaus machen werde. Gut, bis zur Novemberrevolution von 1918 musste noch ein bisschen gestorben werden, aber dann veränderte sich Deutschland. Heute ist es die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die den "Meuterern" von der Volksmarine die Ehre abschneidet und die geplante Operation der Kriegsmarine als "letzte Chance, militärisch einen akzeptablen Verhandlungsfrieden zu erreichen", verklärt. In letzter Instanz waren also die Matrosen schuld am Aufstieg von Adolf Hitler.

*** Aufmerksame Mitleser werden es längst wissen: Heute wird die deutsche Comedy geehrt, schließlich lief vor 25 Jahren die erste Folge der RTL Samstag Nacht im Fernsehen, ein Blödelformat, das mehr denn je vermisst wird, nicht nur von alten Säcken. Angeblich wurde mit der "aus Amerika kopierten Schau" der Anfang der Spaßgesellschaft eingeleitet, aber wenn man im Fernsehlexikon blättert oder sich die CDs anschaut, merkt man schnell, dass da doch ein sehr deutscher Humor gefickt eingeschädelt wurde. Vermisst wird auch ein Anreger der gehobenen Blödelei, Ingo Insterburg. Er ist sicher jetzt auf großer Tournee mit dem Engel Karl Ranseier, mit vielen Witzen. Vor 60 Jahren hatte er seinen ersten Auftritt in Berlin. Das erklärte Ziel, genau "87 eineinhalb" Jahre alt zu werden, hat der Ingo nur knapp verfehlt.

*** Der Rückzug von Angela Merkel aus der großen Politik hat begonnen. Überraschender als die Aufgabe des CDU-Parteivorsitzes sind die Versuche von Wolfgang Schäuble, mit Friedrich Merz einen Politiker zu installieren, der neben dem Parteivorsitz und dem Vorsitz im Vorstand der Atlantik-Brücke künftig "eine weiter gefasste Beraterroller ein[nimmt], in der die Beziehungen mit wesentlichen Kunden, Regulierern und Regulierungsbehörden in Deutschland fördern wird". Die Formulierung könnte aus einer Comedy stammen, ist aber modernes und transparentes Politikmanagement, wie es in den Handbüchern von BlackRock steht. Der Rest ist das Heulen alter weißer Männer, die schon Politik machten, als RTL Samstag Nacht im Fernsehen lief.

*** Zu der in der letzten Woche debattierten Gesichtserkennung mit angekoppelter Videoüberwachung soll nach einem Artikel des New Scientist eine Gesichtserkennung an den EU-Außengrenzen kommen, bei der ein Chatbot mit dem Reisenden spricht, während die Kamera die sogenannte Mikromimik aufzeichnet und mit Hilfe Künstlicher Intelligenz analysiert. iBorderCtrl stellt simple Fragen nach dem Gepäck oder der geplanten Reiseroute. Nach einem Test mit 30 Personen, von denen 15 lügen sollten, ist der intelligente Lügendetektor auf eine Genauigkeit von 76 Prozent gekommen und wird von der zuständigen EU-Kommission bereits als Erfolgsgeschichte gefeiert. Man sei sehr zuversichtlich, auf eine Genauigkeit von 85 Prozent zu kommen. Was bei 700 Millionen Ein- und Ausreisen im Schengen-Raum Millionen von Lügnern produzieren würde, ganz wie die beeindruckende Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz. Deutschland ist übrigens mit dabei: Das Institut für Rechtsinformatik untersucht die Auswirkungen auf die Privatsphäre der in die EU Einreisenden. Was natürlich ein wirklich schlechter Witz einer viertklassigen Comedy ist. Denn mit dem geplanten Entry/Exit-System des Smart Borders Package hat der Reisende seine XY-Sphäre längst vor dem Schengeneintritt abgegeben. Es ist schon so eine Sache mit den Grenzen, und besonders wenn sie Smart werden sollen. Was sich nicht nur zwischen Calais und Dover, sondern auch in Nordirland zeigt, wo die Leute auch noch die smarteste Grenze einreißen wollen.

*** An der Grenze zur Schweiz gab es mancherlei zu verzollen, wenn man aus dem Ausland kommt. Der Sketch mag betulich erscheinen, ist aber das Vermächtnis von Alfred Rasser, der nach einer Chinareise in der Schweiz in Ungnade fiel. Wollen Auslandschweizer heute nicht ins Land einreisen und trotzdem ihr Wahlrecht wahrnehmen, so gibt es das E-Voting: "Mit E-Voting ist die Stimmabgabe nämlich auch auf elektronischem Weg online per Smartphone, Tablet oder Computer jederzeit und von überall her möglich." Nun hat der Chaos Computer Club Schweiz das System untersucht und Sicherheitslücken gefunden. Es ist kein großer Superhack und die Sicherheit kann durchaus verbessert werden. Dennoch befindet der CCC CH auf seiner Website zum Hack, dass E-Voting keine gute Idee ist und in einer Demokratie vermutlich nie sein wird. Die Reaktion der Behörden erfolgte prompt. Sollte die Website nicht vom Netz genommen werden, so werden rechtliche Schritte eingeleitet. Natürlich könnte man auch ein sicheres DNS-Verfahren nehmen, mit Konsequenzen für die Schweizer Websperren. Das nennt man wohl eine geschickte technische Einfädelung.

*** Und noch was anderes. Bei dem, was heutzutage so alles aus Österreich in die Welt dringt und von Vielen im Lande wohl mittlerweile für normal gehalten wird, seien auch mal wieder andere Töne angeführt. Vor allem, da es die Töne eines schon lange aktiven  Rom sind, der zu den besten Musikern Österreichs zählt.

Vorbehaltlich einer augenärztlichen Untersuchung soll Thomas Haldenwang der neue Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden. Er soll Hans-Georg Maaßen ablösen, der auf dem rechten Auge erblindet ist, offenbar ohne Aussicht auf Besserung. Bislang ist Haldenwang nicht sonderlich in Erscheinung getreten, da er vor allem für die Bereiche Wirtschaftsspionage und -sabotage zuständig war. Doch auch dort beschäftigte ihn das große Rauschen samt den Möglichkeiten zur Telekommunikationsüberwachung. Und der Iniative gegen Totalüberwachung versicherte er als Vizepräsident schon einmal, dass sein Amt "weder die heimliche und anlasslose Massenerhebung personenbezogener Daten betreibe noch überhaupt die Befugnis hierfür habe". Früh übt man sich in der Kunst des überspezifischen Einwandes. Zudem jubeln die Grünen, die neue Mitte nach der Merzexekution der CDU und der Evaporation der SPD. Sie glauben halt an sein offenes Verhältnis zur parlamentarischen Kontrolle. Nur die Linken, die weiterhin beobachtet werden, stänkern. Derweil plädiert die AfD für die bestmögliche Integration von verdeckten Informanten in den braunblauen Haufen.

Keine Einwände hätte der arme Verfassungsschutz, wenn er über die Mittel des großen Bruders verfügen könnte, der am schönen Strand der Spree in Berlin nunmehr 1,085 Milliarden Euro verbaut hat, in einem Objekt, in dem bislang 50 Beamte aus der bayerischen Zentrale eingezogen sind. Irgendwie hat es den Eindruck, dass zu wenige Kunstpalmen in den Hof der schiesschartigen Anlage eingebaut wurden.

OK, ich gebe zu, das Thema schon einmal geschüttelt zu haben. Das gibt Abzüge in der B-Note. Aber wo bleibt das Positive? Es ist beim dritten Dienst angesiedelt. Frei nach dem 14. Artikel des MAD-Gesetzes bekommt der militärische Abschirmdienst (MAD) ein ganzes Stockwerk in Palmiristan. Umgekehrt darf dann die Bundeswehr die Bewachung übernehmen, die 8,5 Millionen Euro im Jahr kostete. Über die Frage, wie denn die Dienste zusammenarbeiten dürfen und wie sie überhaupt kontrolliert werden können, dürfen sich andere die Köpfe zerbrechen. (jk)