Nordamerika: Viel Küste, wenig Offshore-Windkraft

Vor Europas Küsten stehen über 4.000 Windkraftanlagen. In den USA sind es fünf, in Kanada null. Nur in einem der beiden Länder zeichnet sich Änderung ab.

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Nordamerika: Viel Küste, wenig Offshore-Windkraft

Offshore-Windräder können hunderte Meter hoch sein.

(Bild: Rob Farrow CC BY-SA 2.0)

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Vergangenes Jahr wurden vor deutschen Küsten 222 Offshore-Windräder installiert, die gemeinsam 1,3 Gigawatt Kapazität aufbringen. Im Vereinigten Königreich brachten 281 neue Windturbinen auf dem Meer sogar 1,7 Gigawatt dazu. Damit gab es zum Jahreswechsel in elf europäischen Ländern 4.149 Offshore-Windräder mit einer Gesamtkapazität von 15,8 Gigawatt. Bis 2020 sollen es 25 Gigawatt werden. In Nordamerika hingegen spielt diese Form der erneuerbaren Stromerzeugung noch kaum eine Rolle.

Gerade einmal 30 Megawatt können die fünf Windräder der Block Island Wind Farm vor der Küste Rhode Islands zusammen leisten. Mehr gibt es nicht. In Kanada, das mit mehr als 202.000 Kilometern die mit Abstand größte Küstenlänge aller Staaten hat, gibt es noch überhaupt keine Offshore-Windkraft. Norwegen mit gut 58.000 Kilometern und Indonesien mit rund 55.000 Kilometern Küstenlänge folgen abgeschlagen auf den Plätzen 2 und 3. Die USA schaffen mit nicht ganz 20.000 Kilometern Platz 8.

Und obwohl Kanada Hebel und Geld in Bewegung setzt, um seinen Treibhausgasausstoß zu senken, wird es dort auf absehbare Zeit keine Windräder auf dem offenen Meer geben. Der frappierende Grund wurde diese Woche auf der Energiekonferenz Marine Renewables Canada deutlich: Die Windturbinen werden einfach nicht benötigt. Es gibt ausreichend umweltfreundliche und günstigere Alternativen zu Offshore-Windkraft. Nebenbei gibt es verfahrensrechtliche Hürden und unzureichende Daten über die zu erwartenden Winde über dem Meer.

John Dalton, President der Firma Power Advisory, auf der Marine Renewables Canada 2018

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

In den USA ist die Lage anders, wobei sich Atlantik und Pazifik deutlich unterscheiden: Die Staaten im Nordosten der USA überbieten sich mit Zielvorgaben für erneuerbare Stromproduktion. "Gleichzeitig wird es immer schwieriger, Windräder und Solaranlagen auf dem Festland zu installieren", berichtete John Dalton, Chef des Energieconsulters Power Advisory, "Zum Beispiel können sie in Maine keine neue Windkraft erzeugen, ohne große Investitionen in das Stromnetz zu tätigen."

Wirtschaftlich habe es Offshore-Windkraft in den USA nicht leicht. Fracking drücke den Erdgaspreis, was den relativen Aufpreis für Windkraft vergrößere. Im Nordosten der USA, wo 2016 mit Block Island die erste Offshore-Windfarm in Betrieb gegangen ist, habe diese Stromquelle aber etwas bessere Karten. An kalten Wintertagen bekomme die Region nämlich nicht genügend Erdgas.

"Offshore-Wind wird zunächst teurer sein als andere erneuerbare Stromquellen", relativierte Dalton, "Wie schnell der Preis sinken kann hängt von der Entwicklung bei Lieferanten und Lieferkette ab." Aktuell seien vor der Atlantikküste der USA Windkraft-Projekte mit einer Gesamtkapazität von zwölf Gigawatt bis 2030 vereinbart.

Jason Busch vom gemeinnützigen Pacific Ocean Energy Trust (POET), der der Förderung von Gezeitenkraft, Wellenkraft und Offshore-Wind verschrieben ist, berichtete am Donnerstag sogar von bis zu 25 Gigawatt in zwölf Projekten, die vor der Atlantikküste der USA in Entwicklung seien. Und er lobte seine Bundesregierung: "Das US-Innenministerium und sein Büro für das Management von Meeresenergie (BOEM) unterstützen Offshore-Windkraft sehr."

Allerdings lege sich im Pazifik die US-Kriegsmarine quer. Vor Hawaii habe es fünf verschiedene Projekte gegeben, die jedoch schon einige Zeit in Schubladen schlummerten. Denn Hawaii ist ein wichtiger Stützpunkt der US Navy, die in ihrem Aufmarschgebiet keine Windräder duldet. Außerdem dominiere Solarenergie unter den erneuerbaren Stromquellen der Inselgruppe.

Jason Busch, Executive Director des Pacific Ocean Energy Trust, auf der Marine Renewables Canada 2018

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Der bevölkerungsreichste US-Staat Kalifornien hat sich zum Ziel gesetzt, spätestens ab 2045 ausschließlich Strom ohne Treibhausgasausstoß zu generieren. Busch erwähnte drei in Kalifornien in Vorbereitung befindliche Offshore-Windprojekte. In eineinhalb Jahren wolle die zuständige Bundesbehörde BOEM diese Standorte offiziell an Betreiber vergeben.

Kaliforniens Problem: Den größten Strombedarf gibt es im Süden Kaliforniens, wo wiederum die Kriegsmarine Offshore-Windräder verhindert. Die Küstengewässer Nordkaliforniens "zählen zu den besten Windgebieten der Welt", erläuterte Busch, "aber es gibt dort keine Netzlast. Man wird also große neue Stromtrassen (in den Süden) bauen müssen."

Schon jetzt reichen die Stromleitungen nicht aus, so dass die Börsenpreise für Strom beispielsweise in San Francisco und Los Angeles sehr unterschiedlich sein können. Neue Stromtrassen zu errichten ist teuer und dauert Jahre. Die Ostküste der Vereinigten Staaten wird ihren Vorsprung bei Offshore-Windkraft gegenüber der Westküste also auf absehbare Zeit behalten.