Brexit-Angst im Tech-Sektor

In Großbritannien macht sich in Unternehmen aus dem Technologiebereich die Angst vor dem Ende der Unionsmitgliedschaft breit. Jeder Deal sei besser als "No Deal", heißt es.

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Brexit-Angst im Tech-Sektor

(Bild: "L1002393" / Guido van Nispen / cc-by-2.0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Charlotte Jee
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"Man muss die Dinge akzeptieren, die man nicht ändern kann", lautet eine alte Binsenweisheit. Das Problem: Wann weiß man eigentlich, dass es sich nicht mehr lohnt, zu kämpfen? Diese Frage beschäftigt auch den Tech-Sektor in Großbritannien, in dem mehr und mehr die Angst vor dem Brexit umgeht.

Nicht viele in der Industrie unterstützen den EU-Abgang des Vereinigten Königreichs. Es wird befürchtet, dass es weniger qualifizierte Arbeitskräfte geben wird und Investitionen zurückgeschraubt werden könnten. Wieder errichtete Hürden, was den Fluss von Daten und Diensten anbetrifft, könnten lange gewohnte Geschäfte unmöglich machen.

Eine häufig erwähnte Sorge ist, dass mit dem Ausstieg Großbritanniens aus dem europäischen "Single Market" auch die Ansiedlungsfreiheit perdu ist. Technikspezialisten aus EU-Ländern könnten deutlich weniger leicht angeworben werden. Und der Austausch von Informationen wird grundsätzlich erschwert, wenn für das Vereinigte Königreich der strenge EU-Datenschutz nicht mehr gilt.

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Doch wo liegt die Lösung? Wie Gespräche mit Branchenvertretern in London und anderen Zentren des Landes zeigen, ist die Meinung gespalten. Manche Marktteilnehmer meinen, dass das von Premierministerin Theresa May ausgehandelte Brexit-Abkommen besser ist als gar kein Abkommen – denn ein chaotischer "No Deal" am 29. März 2019 wäre für sie eine Katastrophe.

Die Handelsorganisation techUK sieht das so. Das Konkurrenzunternehmen Tech for UK hofft hingegen darauf, den Brexit noch einmal abwenden zu können. Die Gruppe hat mehr als 800 Unterschriften von Tech-Bossen im ganzen Land gesammelt, die ein zweites Referendum fordern, in der Hoffnung, die Briten könnten ihre Mehrheitsentscheidung vom Juni 2016 noch einmal umdrehen.

In einem offenen Brief an die Mitglieder des britischen Parlaments heißt es, sie sollten gegen Mays Brexit-Deal stimmen, da die Industrie bei einem Austritt aus der EU wichtige Mittel verlieren werde. Dazu gehört etwa das Innovationsprogramm Horizon2020, das die Kommission aufgelegt hat.

Weiterhin fürchten sie einen "Brain Drain" von Techtalenten, die künftig in andere Länder gehen würden. Zudem sei die Gefahr groß, dass es bald schwieriger werde, Produkte und Dienste aus dem Techniksektor in die EU hinein zu verkaufen. Weiterhin könnte die Gründermetropole London leiden, weil immer mehr Start-ups lieber in andere Städte innerhalb der EU kommen, beispielsweise nach Berlin.

"Der Deal von May ist im Vergleich zu keinem Deal zwar gut. Aber er ist eben nicht gut genug. Wir sollten weiter kämpfen", so der Investor Simon Murdoch, der selbst für ein neues Referendum ist. "Nun wissen wir mehr über den Schaden, den wir uns zufügen werden. Daher ist die einzig vernünftige Lösung, die EU zu bitten, den Prozess anzuhalten und zurück zum britischen Volk zu gehen", meint Start-up-Gründer Chris Thorpe.

techUK ist das alles zu gefährlich. Ein "No-Deal Brexit" ist für die Organisation eine zu große Gefahr, weshalb man hinter Mays Vorschlag steht. "Jeder Deal, der dazu führt, dass das Vereinigte Königreich die EU verlässt, wäre immer schlechter, als in der EU zu bleiben", so Anthony Walker, stellvertretender Chef der Organisation.

"Doch unsere Position ist, dass es derzeit eben nur einen Deal gibt, der auf dem Tisch liegt – und ein Szenario ohne geregelten Ausstieg wäre einfach katastrophal."

Wirklich real fühlt sich das alles nicht an für die Technikarbeiter. Die Monate vor dem kommenden März dürften volatil werden. Die Situation könne sich schnell verändern, meint Walker. "Das, was uns heute unmöglich erscheint, könnte plötzlich möglich werden."

(bsc)