Autoersatzverkehr

Stickoxide waren 2018 das beherrschende Thema in der Verkehrspolitik. Es könnte den Anstoß für Veränderungen gegeben haben, die weit über die reine Luftqualität hinausgehen.

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Autoersatzverkehr

Berlin baut jetzt breite und sicher abgetrennte Wege für Radfahrer.

(Bild: Foto: Peter Meißner/ Ullstein Bild)

Lesezeit: 3 Min.

Im Jahr 2018: Hamburg. 2019: Berlin, Bonn, Essen, Frankfurt, Gelsenkirchen, Köln, Mainz, Stuttgart. Wer kommt als Nächstes? Angezählt sind unter anderem bereits Aachen, Bochum, Darmstadt, Dortmund, Düsseldorf und München. Ob, wann und in welcher Form sie ein Fahrverbot bekommen werden, ist noch offen. Absehbar ist aber: 2018 könnte sich im Rückblick als „Peak Auto“ erweisen – das Jahr, an dem die Dominanz des Pkws ihren historischen Höhepunkt erreicht hat. Autofahrer werden nämlich künftig gründlich recherchieren müssen, wohin sie überhaupt noch fahren dürfen: Mangels bundesweit einheitlicher Regeln tanzt jede Kommune ihren eigenen Luftqualitätslimbo, um sich gerade noch unter den Stickoxid-Grenzwerten durchzuhangeln. Mal sollen ganze Viertel oder Innenstädte gesperrt werden, mal nur bestimmte Straßen; mal sind lediglich ältere Diesel betroffen, mal auch relativ junge Selbstzünder oder angejahrte Benziner.

Noch hoffen Politiker in Bund, Ländern und Kommunen, dass die Zeit für sie arbeitet. Verschwinden alte Stickoxidschleudern nach und nach von der Straße, könnten die Grenzwerte irgendwann auch ohne grundlegende Umbauten des Verkehrssystems eingehalten werden. Kaum etwas verdeutlicht die Haltung so gut wie der ambitionslose Umgang mit dem Radverkehr: So hat das Bundesverkehrsministerium statt der versprochenen 200 Millionen Euro zur Förderung des Radverkehrs nur 130 Millionen in den kommenden Bundeshaushalt eingestellt. Und Niedersachsen hat das Budget für Radschnellwege im Etat 2019 gleich komplett gestrichen – im Vorjahr hatte kaum eine Kommune die Fördergelder abgerufen.

Stattdessen versuchen die Beteiligten, die Zeit mit verzweifelt anmutenden Maßnahmen zu überbrücken: halbherzige Nachrüst-Versprechen der Autobauer; Werbebriefe für den Autoumtausch; Fördergelder für Kommunen, die so kompliziert zu beantragen sind, dass sie kaum in Anspruch genommen werden; eine Debatte über die genaue Position der Messstationen. Sogar die schon vor knapp zwanzig Jahren von der EU aufgrund von Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO demokratisch beschlossenen Grenzwerte selbst werden just in dem Moment infrage gestellt, in dem sich ihre Einhaltung als lästig erweist.

Damit wähnt sich die Politik auf Linie des Wahlvolks. Viele Bürger dürften Maßnahmen für eine sauberere Luft in der Tat nur so lange befürworten, solange sie selbst dadurch keinerlei persönliche Einschränkungen erfahren. Doch vieles spricht dafür, dass 2018 trotzdem einen Wendepunkt in der Verkehrspolitik markiert. Die Stickoxid-Debatte lenkte nämlich den Blick auf die Frage, wie eine Stadt auch ohne (oder zumindest mit deutlich weniger) Autos funktionieren könnte.

Für diese Vision lassen sich offenbar durchaus politische Mehrheiten organisieren: Immer mehr Menschen weigern sich, Kollateralschäden wie Flächenverbrauch, Lärm und Unfälle als gottgegeben hinzunehmen. Und anders als früher erschöpft sich dieser Unmut nicht mehr in

Aktionen wie Parkplatzbesetzungen oder Fahrraddemos: Die Umweltbewegung hat auch gelernt, juristische Instrumente höchst wirksam einzusetzen. Mag das Bundesverkehrsministerium sein Mantra „Wir wollen keine Fahrverbote“ noch so oft wiederholen: Die Gerichte hat das bisher wenig beeindruckt. (grh)