Prozess um Darkweb-Forum: Wie unterschiedlich die Ermittler vorgingen

In Karlsruhe muss sich der ehemalige Betreiber von DiDW vor Gericht verantworten. Im Prozess erläutert ein BKA-Beamter die Ermittlungen in dem Darkweb-Forum.

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(Bild: dpa, Nicolas Armer)

Lesezeit: 15 Min.
Von
  • Christoph Lemmer
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Hätte sich der blutige Anschlag am 22. Juli 2016 am Münchner Olympia-Einkaufszentrum verhindern lassen? Diese Frage spielte schon im ersten Prozess nach der Tat in München eine Rolle. Da war der Waffenhändler zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden, der dem Täter eine Pistole verkauft hatte, nachdem sie sich im Darkweb-Forum "Deutschland im Deep Web" (DiDW) kennengelernt hatten. Mit Alexander U. steht nun der Betreiber dieses Forums in Karlsruhe vor Gericht und die Frage schwebt auch über diesem Verfahren. Dort wurde jetzt offenkundig, dass zwei Bundesbehörden parallel ermittelten, ohne sich miteinander abzusprechen – vermutet wurde das schon länger.

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Gegen Alexander U. ermittelte das Bundeskriminalamt (BKA). Gegen den Waffenhändler ermittelte das Zollfahndungsamt (ZFA). Beide Behörden sind Bundesministerien unterstellt – das BKA dem Innen- und das ZFA dem Finanzministerium. Beide widmeten sich dem DiDW-Forum mit je eigenen verdeckten Ermittlern, eigenen technischen Spezialisten und je eigener Bürokratie.

Ein "VE-Führer" des Bundeskriminalamtes, der verdeckte Ermittler anleitet, musste sich am Donnerstag als Zeuge in Karlsruhe der Frage stellen, ob sich seine Dienststelle mit anderen Behörden ausgetauscht habe. Seine Antwort: "Ich war mal im Austausch… ähm… mit ZFA in Frankfurt… kann ich mich nicht erinnern". Dann fällt ihm der Name eines Zollfahnders ein. Er nennt ihn und sagt: "Ich habe mit dem telefoniert". Ein Mal.

Wann das BKA erstmals auf das Darkweb-Forum aufmerksam wurde kann der Beamte nicht mehr sagen. Er könne sich an kein konkretes Verfahren erinnern, aber es sei schon vor dem Münchner Anschlag gewesen. Erst nach dem Anschlag aber sei die Sache richtig in Schwung gekommen. Am 15. August 2016 – vier Wochen nach den Schüssen – habe die Staatsanwaltschaft Gießen den Auftrag für Ermittlungen erteilt. Ziel sei es gewesen, den User "Luckyspax" ausfindig zu machen und festzunehmen. "Luckyspax" war das Pseudonym des angeklagten Alexander U., des Administrators von DiDW.

Seine Dienststelle habe sodann versucht, verdeckte Ermittler im Forum unterzubringen. Dabei handelte es sich um reguläre BKA-Beamte und nicht um von außen angeworbene V-Leute. In den nächsten Tagen hätten sich seine Mitarbeiter unter mehreren User-Identitäten angemeldet. Die genaue Zahl der Identitäten will der Beamte nicht verraten und beruft sich auf die Beschränkungen seiner Aussagegenehmigung. Als wichtigste User-ID seiner Ermittler nennt er "Gazza". "Gazza" habe damit begonnen, "Telefonkarten" zu verkaufen, vermutlich geht es hier um SIM-Karten. Die waren ein gefragtes Gut im DiDW, weil sie Kommunikation ohne die gesetzlich vorgesehene Registrierung ermöglichten. "Die Telefonkartengeschichten dienten dem Aufbau des Nicknames", erläutert der VE-Führer. "Gazza" habe außerdem zwei Mal Bitcoin an den Admin "Luckyspax" gespendet.

Zwei andere BKA-User hätten zugleich einen Waffendeal simuliert. Der eine habe vorgegeben, er suche eine Waffe, der andere, er habe eine. "Es gab auch eine Waffe, die haben wir abfotografiert", sagt der Beamte. "Wir haben auch ein Paket losgeschickt, aber da war natürlich keine Waffe drin". Weiter hinterfragt wird diese Aussage nicht. Unklar bleibt, wie das Versenden eines leeren Pakets von einer fiktiven Adresse an eine andere fiktive Adresse im Online-Forum Eindruck schinden könnte.

Der Beamte meint, bei diesem Waffendeal habe "Luckyspax" bereits eine aktive Rolle gespielt. Er als Administrator habe nämlich den verdeckten Ermittler als Verkäufer freigeschaltet. Beim Lesen der Forendiskussionen hätten die Fahnder gelernt, dass nur "Luckyspax" Händler in die Kategorien "Biete" und "Biete zertifiziert" einstellen konnte. Der VE-Führer im Zeugenstand sagt: "Bilder und Angebotstext sollten vom Luckyspax abgesegnet werden, und das hat er getan, indem er es freigeschaltet hat".

Das freilich war für das Karlsruher Gericht eine echte Überraschung, die sich weder aus den Akten noch aus dem Verlauf der bisherigen Prozesshistorie herleiten lässt. Aus alldem ergibt sich nämlich, dass Alexander U. seine "Biete"-Kategorien ausschließlich für Drogendeals zur Verfügung stellte, nicht aber für Waffengeschäfte. Auf Nachfrage erinnert sich der Beamte, es habe mehrere Diskussionen im Forum zu dem Thema gegeben.

Der Richter will wissen: "Wurde die Waffe im Verifiziert-Bereich angeboten?"

"Weiß ich nicht mehr".

Ein Verteidiger hakt nach: "Wurde er nun freigeschaltet oder wurde nur darüber gesprochen?"

"Die Antwort von Luckyspax war: Du wurdest freigeschaltet". Darüber finde sich auch schriftliches Material in der "VE-Akte". Die habe er aber gerade nicht dabei.

Der Vorsitzende Richter Holger Radke merkt an: "Was Sie uns erzählen, widerspricht eigentlich allem, was wir bisher über das Thema Waffenhandel gehört haben". Der BKA-Mann möge ihm bei Gelegenheit besagte VE-Akte zur Verfügung stellen.