Effektvoll

Kalendertürchen: José Ignacio López de Arriortúa

Schön, wenn man der Industrie, der man sein Arbeitsleben gewidmet hat, ein Erbe hinterlassen kann. Weniger schön, wenn Qualitäts- und Sittenverfall nach einem benannt werden. Der Lopez-Effekt wird in erinnerung bleiben

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(Bild: Volkswagen)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Bernd Kirchhahn

Eine steile Karriere und tiefer Fall im Schnelldurchlauf: José Ignacio López de Arriortúa stammt aus Spanien, studierte Ingenieurswesen und arbeitete sich bei Firestone nach oben. Er erregte so viel Aufmerksamkeit, dass General Motors ihn als Werksleiter für den Aufbau des Standortes in Saragossa einsetzte. Ziel: Mit 12.000 Arbeitern jedes Jahr 270.000 Autos bauen. Als López fertig war, konnten 9000 Angestellte 370.000 Autos fertigen.

Von Opel zu VW

Also ging es für ihn 1987 nach Rüsselsheim zu Opel, wo er Einkauf und Produktion verantwortete. Schon 1988 war er Chefeinkäufer von General Motors in Europa. Ab 1992 dann Executive Vice President bei GM und als solcher globaler Chefeinkäufer. 1993 wechselte er dann nach Wolfsburg zu Volkswagen. Ferdinand Piëch musste seinen verlustreichen Konzern wieder auf Kurs bringen und machte López ein Angebot, das der nicht ablehnen konnte. Mehr Geld, mehr Kompetenzen und seine wichtigsten Mitarbeiter durfte er auch mitbringen.

Was er noch mitbrachte: 20 Kartons mit teilweise vertraulichen Unterlagen zum damals neuen Opel Corsa B und einigen anderen Modellen. Damit hatte Volkswagen alle Informationen zu Bauteilen, Kosten, Einkaufspreisen und Produktionsstandorten. Nach heftigen juristischen Scharmützeln musste López 1996 zurücktreten, während Volkswagen 100 Millionen Dollar Strafzahlung an GM überwies und für eine Milliarde Dollar Bauteile von den Amerikanern kaufte.

Verlust durch gesenkte Einkaufskosten

Doch nachhaltig in Erinnerung ist Lopez nicht wegen dieser moralisch fragwürdigen Aktion, sondern durch den Lopez-Effekt. Ein Begriff unter dem heute ein signifikanter Qualitätsverlust verursacht durch drastisch gesenkte Einkaufskosten verstanden wird. Doch das ist nur die vereinfachte Version.

López Strategie war es, die Kosten pro Auto drastisch zu senken. Dafür mussten vor allem die Preise für zugelieferte Teile – die damals wie heute 60 bis 70 Prozent des Fahrzeugs ausmachten – nach unten. Dabei setzte López verstärkt auf den Skaleneffekt. Also mehr gleiche Teile von einem Hersteller. Hatte Volkswagen vor dem López-Engagement rund 1500 Zulieferer, waren es danach nur noch 150.

Hinter dem Skaleneffekt steht die Faustregel, dass eine Verdoppelung der produzierten Stück zu einer Kostensenkung von 20 bis 30 Prozent führen kann. Das entscheidende Wort in der Literatur ist „kann“, und eben nicht „muss“. López arbeitete aber so, als wäre diese Kosteneinsparung ein Naturgesetz. Er und sein Einkaufsteam, das er martialisch „meine Krieger“ nannte, verlangten die entsprechende Preissenkung von den Zulieferern.

Der Würger von Wolfsburg

Zusätzlich schloss er Verträge über mehrere Jahre ab und ließ die sinkenden Preise fixieren. Schwankungen der Rohstoffpreise, Investitionen in Maschinen, Forschung und Entwicklung, steigende Lohn- oder Energiekosten – alles musste von den Zulieferern aufgefangen werden. Wurde den Teilefertigern vorher ein fairer Gewinnaufschlag zugebilligt, um eine Win-Win-Situation zu erreichen, wurden die abhängigen Zulieferer jetzt ausgequetscht. Diese Taktik brachte ihm den Spitznamen „Der Würger von Wolfsburg“ ein. López selbst bezeichnete sein Vorgehen als „gemeinsam mit den Lieferanten entwickelten strategischen Aktionsplan.“

Bei Opel war das Problem, dass die Kostensenkung zu einem spürbaren Qualitätsrückgang führte. Bei Volkswagen kam es dazu auch, allerdings in geringerem Ausmaß. Experten führen das bis heute auf das eher kurze Engagement zurück.

Bei den Mitarbeitern beliebt

Bei den eigenen Mitarbeitern war López allerdings keineswegs unbeliebt. Denn auf der Suche nach Optimierungsmöglichkeiten wurde der Gesamtprozess der Autoproduktion in eine Vielzahl von Mini-Schritten zerlegt. Jeder Schritt wurde dann von den verantwortlichen Arbeitern analysiert. Es durften Vorschläge gemacht werden, Hierarchien gab es nicht, jeder konnte, durfte und sollte sich einbringen. Kurzum: Die Mitarbeiter waren selbst für die Rationalisierungen verantwortlich. López hat sich nicht in der Industrie gehalten, seine Art der Verhandlung aber sehr wohl. Das Kostendrücken hat heute in der Autoindustrie Tradition, wird aber sympathischer verpackt. (fpi)