Es ist was faul im E-Mail-Land: Zwischen Komplexität und ungleichen Machtverhältnissen

E-Mail? Ach, WhatsApp & Co. sowie soziale Medien machen die doch überflüssig? Weit gefehlt. Aber nicht nur Machtkonzentration und Blacklisting bereiten Probleme

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Post, Briefkasten
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

E-Mail ist etwas für die "Alten", sagen die "Jungen", die per WhatsApp oder Messenger kommunizieren. Aber die rund 3,8 Milliarden mailenden "Alten" gebrauchen E-Mail wirklich heftig. Rund 280 Milliarden E-Mails pro Tag tauschen sie aus – und ärgern sich darüber, dass E-Mail leider nicht besser wird, im Gegenteil – und vor allem aber immer unzuverlässiger. Wie kann das sein?

An solche und vergleichbare Vorfälle hat man sich schon gewöhnt: Die deutsche Telekom tauscht einen Router aus und plötzlich kann man keine E-Mail mehr versenden. Dem Otto-Normaluser hilft ein Anruf bei der Telekom-Hotline wenig. Dort meint man nur: Wenn der Nutzer keine T-Online-Adresse benutzt, liegt der Fehler natürlich beim jeweilige E-Mail Provider.

Kleine Tricks wie der Versand über einen anderen Port werden nach der ersten erfolgreichen Mail erkannt und ausgeschaltet. Ein Blick ins heise-Archiv verrät, dass man die von der Telekom im Router voreingestellte Liste sicherer Mailserver ausschalten muss, wenn man nicht seine eigene Maildomain aufgeben will. Aber mit welchem Recht blockiert eigentlich ein marktbeherrschendes Unternehmen kleinere, häufig im Business-Bereich aktive und daher grundsolide E-Mailprovider?

Dramatischer sind Effekte wie die, dass die E-Mail an den Anwalt, an die Bank nicht mehr funktioniert. Gibt es den Anwalt nicht mehr? Wird die Bank gerade per DDoS lahmgelegt? Und, vor allem, an wen kann man sich wenden, um dem Problem auf den Grund zu kommen?

John Klensin, einer der Autoren des Basis-Standards SMTP, sagt auf die Frage, woher die zunehmenden Probleme rühren: "Spam, Noise und nicht-standard-gemäßes Verhalten von Systemen und Providern, die beschlossen haben, dass sie groß genug sind, um Regeln zu ignorieren oder anderen die eigenen Regeln aufzuzwingen."

Seit 40 Jahren kämpft die Netz-Gemeinde gegen Spam. Längst sind Ausmaße erreicht, die für erheblichen volkswirtschaftliche Schäden sorgen, selbst wenn man reinsten, also nicht Malware-verseuchten Werbe-Spam betrachtet.

Wer nicht nachweisen kann, dass er eine Bestätigungsaufforderung für den Bezug von E-Mail-Werbung nicht unverlangt geschickt hat, kann vor einem strengen Gericht schon mal zu satten Strafen verurteilt werden. Die fetten Profispammer sitzen allerdings ohnehin anderswo und werden selten so konsequent zur Verantwortung gezogen wie Pyotr Levashov oder Alan Ralsky, der in den USA vor fast 10 Jahren zu 51 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Für den alltäglichen Kleinkrieg gegen Spam nutzen wenige hoch gehängte Verfahren aber zu wenig. Mehr Strafzettel für Spammer, empfiehlt Kurt Jaeger, Geschäftsführer von nepustil.net, einem der immer rarer werdenden kleineren Provider.

Diese kleineren Provider oder die wenigen Hartnäckigen, die nicht darauf verzichten wollen, ihren Mailserver noch selbst zu betreiben, sind aber die Leidtragende vieler Anti-Spam-Maßnahmen.

Die MailOp-Liste ist voll von verzweifelten Rufen von Mail Administratoren, die auf dieser oder jener Blacklist gelandet sind. "Meine Server sind seit drei Wochen von Gmail geblockt. Wir sind ein Eyeball-ISP, keine Marketing Firma. Zwar kontrollieren wir selbst keine Inhalte, aber, abgesehen von kompromittierten Accounts, erzeugen wir vernachlässigbaren Traffic", klagt so einer der Betroffenen. Lange nachdem ein kompromittierter und von einem Spammer genutzter Account gelöscht und andere Provider seine Server von ihren Blacklists genommen haben – "abgesehen von denen, die versuchen, Geld zu erpressen" –. bleibt der Weg zu Gmail gesperrt. Auch erfolgreich absolvierte Prüfungen von SPF, DMARC und DKIM – die alle der Authentifizierung des Absenders dienen – nutzten nichts. Bei Google tauche lediglich die Meldung des kompromittierten Accounts auf, alle anderen gemachten Meldungen hätten es offenbar nicht auf die Liste von Googles Postmaster-Tools geschafft. Fazit des Betroffenen: Google orientiere sich ganz offensichtlich stärker an großen Werbefirmen, und weniger an denen, die echte Kommunikationsdienstleistungen zur Verfügung stellen.

Nicht nur der größte Mailprovider Google (mit 1,2 Milliarden Nutzern), sondern auch der Zweitgrößte, Microsoft mit rund 400 Millionen Nutzern, taucht in den Hilferufen auf. Outlook.com werde "IMMER AGGRESSIVER", bestätigt jemand auf der MailOp-Liste, "so aggressiv, dass sie Mailserver sperren, die seit langem im Geschäft und dafür bekannt sind, dass sie wirklich sehr wenig Spam und sehr viel legitime E-Mail senden." Die Bedenken bezüglich möglicher "Kollateralschäden" seien mittlerweile "schockierend" gering und entbehrten angesichts der eigenen Historie als Spamquelle nicht einer gewissen Ironie.