Was war. Was wird. Fressen oder Moral, das ist die Frage.

Bei all den Doppeldenkereien und Nicht-Ereignissen und Zwistigkeiten gibt es auch einen schönen musikalischen Geburtstag zu feiern, freut sich Hal Faber.

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Menschenmenge

Ist was passiert? Nicht wirklich, oder?

(Bild: Anton Watman / shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Entweder war es ein Profi, der sich als Skriptkiddie tarnte, oder ein sehr, sehr geduldiges Skriptkiddie, das eifrig in einer enormen Fleißarbeit Datenbröckchen sammelte und am Ende dastand wie ein Profi. Das wird sich zeigen, denn es sind eine Menge "Metadaten" vorhanden. Bis jetzt zeigt sich vor allem das elende Doppeldenk der Politik in seiner besten Form. Während der AK Vorrat frisch zum neuen Jahr gegen die allgemeine Vorratsdatenspeicherung angeht, führt der Angriff auf Vorrat bei den betroffenen Politikern zu Ausrastern. Das war der schwere Angriff auf die Demokratie, einer, vom dem Schönbohms Mannen und Frauen längst wussten, aber offenbar keinen Alarm schlugen, da man überall nur Einzelfälle sah. Na, sowas aber auch. Wie war das noch mit dem tollen neuen Leitbild, 2017 auf der CeBIT vorgestellt? "Das BSI als die nationale Cyber-Sicherheitsbehörde gestaltet Informationssicherheit in der Digitalisierung durch Prävention, Detektion und Reaktion für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft." Gestaltete Informationssicherheit könnte ja damit beginnen, alle Betroffenen zu informieren, nicht nur einzelne (parteipolitisch genehme?) betroffene Politiker. Unterdessen reagiert die niedere Politik auf die übliche bizarre Weise, empört sich über die Destabilisierung der Demokratie, garniert mit dem idiotischen Ruf nach einem Cyberhackback.

Der erste Auftritt des CCC in der Öffentlichkeit nach dem Btx-Hack - beim FoeBuD

*** Auch die sonst so alerten Hacker des Chaos Computer Clubs wurden überrascht, war der gruselige "Hackerangriff" auf ihrem Congress zwischen den Jahren ähnlich wie beim BSI kein Thema. Nun ist es eine Aktion aus dem rechten Lager, dort, wo die Trolle wohnen. Mein alter Kumpel Erich hat schon recht, wenn er schreibt: "Das da ist genauso zusammenphishtes random Glumpert wie die 'Macron Leaks', aber viel mehr und methodischer. Alle deutschen Lieblingsfeinde der Faschos. Eins Plus in Timing & Distribution. Die Handschrift der Andrew Auernheimer School of Disinformation." Politiker, die ihre digitalen Siebensachen nicht zusammenhalten und sichern können, fordern Sondersitzungen und illustrieren die Forderung keck mit einem Edvard Munch-Hoodie. Ja, schreien möchte man, wenn als Konsequenz dieser "Vorratsdatenspeicherung von Politiker-Daten" der Ruf nach einem schärferen Netzwerkdurchsetzungsgesetz laut wird.

*** War es wirklich Harmonie wie nie? War es gar eine politische Demonstration der Extraklasse, wie Netzpolitik jubelnd im bester Kitsch-Schreibe über den 35. Chaos Communication Congress schreibt? Es gab ja Kritik. Der Hackerblogger Fefe quengelte über Netzpolitik und vermisste seinen Kumpel Steini unter den Vortragenden. Versuchen wir es möglichst objektiv: Dieser Congress war auch der Ort, in der ein schwelender Zoff in der Hacker- und Aktivistenszene zum Ausbruch kam. Wie bei einem Vulkanausbruch verrutschte dabei das Land: der Chaos Computer Club und Netzpolitik gehen enger zusammen, zurück bleiben die mit dem Pesthörnchen, heute Digitalcourage genannt, früher unter dem Namen FoeBuD bekannt. Der Spendentrog wird umgeschichtet, die Prioritäten ganz im Sinne der Berliner Szene neu gesetzt. Womöglich gehen auch die beiden Veranstaltungsagenturen namens CCV GmbH und Newthinking Communications zusammen, man kennt das ja mit diesen "Synergieeffekten".

*** All der Ärger beim Wechseln der Loyalitäten entlud sich auf Twitter beim Netzaktivisten padeluun, der von einem gefestigten Odal spricht, einer internen Machtstruktur des CCC, über die alle Mitglieder zu schweigen hätten, ganz wie die Omerta bei Mitgliedern der Mafia. Dass ausgerechnet ein ausgewiesener Insider das Schweigen bricht, hat mit diesem Vortrag zur Hackerethik zu tun, den der Beherrscher des CCC hielt. Der, dessen Namen nicht genannt werden darf, betreibe mit solchen Vorträgen ein permanentes Whitewashing neben dem Paktieren mit Schurkenstaaten: schaut hin und brecht das Schweigen, ereiferte sich padeluun, der damit von den CCC-Bühnen verschwinden wird. Ausgerechnet beim letzten Kongress, beim ersten "großen" in Leipzig, hatte er so seinen letzten Auftritt, als er zusammen mit Rena Tangens und Wam Kat vom Zamir-Netzwerk im ehemaligen Jugoslawien berichtete, das die Kommunikation offen hielt, als die Brücken zwischen Serben, Kosovaren, Bosniern und Albanern längst abgebrochen waren. Das kann man prophetisch nehmen: "Wenn man nicht miteinander kommuniziert, kann man auch nicht vergeben."

*** Was ist dran an den Schurkenstaats-Vorwürfen? Hier muss man nicht auf die Firma GSMK Cryptohone schauen, die Andy Müller-Maguhn und Frank Rieger gehört. Hier lohnt sich der Blick in die Vergangenheit, als in der Datenschleuder ein Artikel unter dem Titel Letzter Ausstieg Gewissen erschien. Er beschreibt, wie Hacker aus dem Umfeld des CCC anfangen, Finfisher-Überwachungssoftware für die Firma Gamma-Group zu programmieren, dem Preisträger eines Big Brother Awards im Jahre 2012. Unter dem Titel Hacken, Fressen und der ganze Rest namens Moral gibt es eine Zusammenfassung auf heise online. Die pseudonymisierten "Simon" und "Bernd" schrieben Software, die Diktatoren einsetzen, um Oppositionelle auszuspionieren. Mit dem "Geständnis" und manch verständnisvoller Umschreibung des Seitenwechsels hin ins Dunkle und wieder zurück in ehrbare Sphären durch die Autoren der Datenschleuder war der Anschluss an den CCC wieder offen. Heute betreiben die beiden reuigen Sünder die Schweizer White-Hat-Firma Modzero und einer von ihnen gab auf dem Kongress in Leipzig einen OpSec-Grundkurs für den Hacksport. "Humorvoll" wurde erzählt, wie sich Hacker nicht erwischen lassen sollten.

*** So bleibt vom Vorwurf noch die Frage zu klären, die ebenfalls via Twitter auftauchte: War es mehr als nur der Sündenfall zweier junger Hacker, die Software wie Finfisher und FinFirewire schrieben? Wurde die Software gar in den Räumen des CCC Berlin geschrieben? Wurde das Whitewashing nur für ausgewählte Menschen aus dem Machtzirkel betrieben, während andere weiterhin in Verdammnis leben müssen? All dies lässt sich nicht (noch nicht/nicht mehr) zweifelsfrei belegen oder nur mit Relotius-Methoden zusammenschreiben. Was bleibt, ist die nicht gerade neue Erkenntnis, dass politischer Aktivismus und Transparenz sich mitunter ausschließen. Und jaja, der CCC ist politisch, gemäß der eigenen Mythologie, wie sie um den Tisch der Kommune I wabert, an dem der CCC gegründet sein soll. Was insofern Blödsinn ist, als der berühmte Tisch des sozialistischen Anwaltskollektivs von 1968 niemals der Kommune I oder der tageszeitung gehörte. Doch: When the legend becomes fact, twitter the legend.

Noch ist das chinesische Sozialkreditsystem nicht wirklich gestartet, konnte man auf dem Congress erfahren. So soll ein System krachend gescheitert sein, weil es viel zu viel Bestrafte und kaum Belohnungen oder Anreize vergab. Besonders beruhigend ist das nicht, denn die Vorbereitungen laufen weiter. Was dabei für Probleme auftreten und in der Zukunft à la mode de Orwell ausgeräumt werden müssen, kann man hier nachlesen. Die Zensoren müssen erst einmal die wahre Geschichte Chinas lernen, damit sie diese zensieren können. Das ist nicht neu, das wusste schon George Orwell und er sagte es in eleganten Worten: "He who controls the past controls the future. He who controls the present controls the past."

Dort, wo die Kontrolle versagt, beginnt zwar noch nicht das Reich der Freiheit, aber doch schon der Raum des Angenehmen. Ich weiß, dass es in etlichen Gitarrenläden verboten ist, Klampfen mit Stairway to Heaven zu testen, da allzuviele den Song massakrierten, aber zum 75. Geburtstag von Jimmy Page wird man ihn doch mal anspielen können. Oder die Interview-Fetzelchen zum 50. Band-Jubiläum anhören. Oder einfach nur an John Bonham gedenken, dem besten Drummer, ever. Aber auch schon an seinem Geburtstag vor 48 Jahren konnte jeder Jimmy Pages Grandezza und seine Meisterschaft und seine Inbrunst an der Gitarre hören, ganz ohne das unsägliche Stairway to heaven.

Es ist mir bis heute schleierhaft, wie Page auf der Liste der besten Gitarristen hinter Eric Clapton landen konnte. Gut, über Jimi Hendrix kann man sich unterhalten ...

Jimmy Page (rechts) am 13. Februar 1975 im Nassau Coliseum, auf der US-Tour von Led Zeppelin. Links Robert Plant, im Hintergrund John Bonham am Schlagzeug. Nicht auf dem Bild: Bassist John Paul Jones.

(Bild: carwriter1 / shutterstock.com)

Aber wie dem auch sei. Bei all den begnadeten Gnibblern, die noch unter uns weilen, aber mittlerweile wirklich in die Jahre gekommen sind, mag man Jan Stremmel zustimmen: "Männliche Rockmusik ist eine zu Tode erzählte Geschichte." Auch wenn Jack White daraufhin leichte Wutanfälle bekommen dürfte. Ob die Gitarristinnen, wie von Stremmel prophezeit, die Faszination der "rebellischen Männerbünde" und ihres manchmal in endlose Soli ausartenden Gitarren-Rock auf eine neue Ebene heben, das wollen wir erst noch sehen. Immerhin: Hoffnung besteht.

Und so schließt dieses WWWW halt doch versöhnlich. (jk)