Cloud Gaming: Sind Spiele-PCs und Konsolen bald am Ende?

Google, Verizon und Microsoft testen gerade Cloud-Gaming-Dienste. Ob die Technik den Spiele-PC verdrängen kann, ist auch eine Frage der Netz-Infrastruktur.

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Cloud-Gaming: Ist der Gaming-Rechner am Ende?

(Bild: Sony)

Lesezeit: 11 Min.
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Bei Google heißt es "Project Stream", bei Microsoft "Project xCloud", und bei Verizon schlicht "Verizon Gaming": In den vergangenen Monaten haben immer mehr Tech-Großunternehmen ihren Einstieg in die Welt des Cloud Gamings verkündet. Sie schließen sich damit unter anderem Sony und Nvidia an, die sogenannte GaaS-Services schon jetzt betreiben. Was steckt dahinter?

GaaS steht für "Gaming as a Service". Nutzer können also Spiele auf ihren Geräten spielen, die nicht lokal, sondern auf einem Server des Anbieters ausgeführt werden. Die etwa auf einem Notebook eingegebenen Steuerbefehle werden also übers Netz an den Server im Rechenzentrum geschickt und dort verarbeitet. Anschließend wird ein Bild zurück an den Client gesendet. Im Idealfall entsteht beim User dabei der Eindruck, das Spiel würde wie gewohnt lokal ausgeführt.

Cloud Gaming gehört zu den wichtigsten Entwicklungen auf dem Gaming-Markt, fast alle Branchenriesen arbeiten mittlerweile an Angeboten. Einer der wichtigsten Gründe für den Hype: Weil das lokale Wiedergabe-Gerät nur die Dekodierung übernehmen muss, ist auf Kundenseite auch für aktuelle Top-Titel keine teure Hardware notwendig. Nutzer eines Cloud-Streaming-Dienstes brauchen keine Spielekonsole und keinen Gaming-Rechner, um selbst aufwendige Videospiele auf ordentlichem Niveau spielen zu können – das erschließt neue Zielgruppen.

Auch Gamer profitieren, wenn die Grenzen zwischen den Wiedergabegeräten verschwimmen. Das neue Battlefield kann man dann nicht mehr nur auf dem High-End-Rechner, sondern auch auf dem Notebook, dem Tablet oder dem Handy spielen, wenn es dafür einen Klienten des Anbieters gibt. Manche Dienste erlauben es sogar, zwischen den Wiedergabegeräten nahtlos hin- und her zu springen. Man kann also dem PC den Rücken zukehren und auf dem Sofa bequem über das Tablet weiterzocken, ohne aus dem Spielfluss gerissen zu werden.

Cloud Gaming ist deutlich flexibler als der Gaming-Rechner, der von einer Kabelarmee unter den Schreibtisch gefesselt wird. Theoretisch können aktuelle Titel auch auf dem Handy gespielt werden.

(Bild: Vortex)

Dienstreisende können so auch auf dem Business-Notebook im Hotelzimmer spielen. Und Gelegenheits-Zocker brauchen sich nicht gleich eine neue Grafikkarte zuzulegen, wenn sie mal das neue Anno ausprobieren wollen – der günstigere Weg führt über ein GaaS-Monatsabo. In der Regel sind die Rechenzentren der Anbieter außerdem deutlich flotter angebunden als das heimische Internet, Updates und Erweiterungen lassen sich so schneller herunterladen.

Haben Spiele-Rechner und Gaming-Konsolen also ausgedient? Bei aller berechtigten Aufregung um die Pixel-Pracht aus den Rechenzentren schaffen es aktuelle Cloud-Gaming-Lösungen nicht, komplett mit der lokalen Hardware mitzuhalten. Die bisher verfügbaren Streaming-Lösungen haben oft kleinere technische Probleme, die bei herkömmlichen Rechnern nicht auftreten würden. Einige Dienste unterstützen zum Beispiel keinen Voice-Chat.

Je nach Anbieter können außerdem hohe Kosten auf Kunden zukommen. Manche Dienstleister bieten nur eine eigene Bibliothek an Spielen an, ihre eigene Steam-Kollektion können Nutzer dann nicht verwenden. Das führt zu Situationen, in denen ein bereits für eine andere Plattform erworbenes Spiel neu gekauft werden muss, zusätzlich zu den in der Regel verlangten Abo-Gebühren. Oft kann die in den Servern zur Verfügung gestellte Hardware-Leistung außerdem nicht mit einem eigenen Gaming-Kraftpaket mithalten.

Das Kernproblem des Cloud Gaming liegt aber tiefer: Es braucht Zeit, Daten vom Client zum Server zu schicken, sie dort zu verarbeiten und dann wieder zurück zu schicken. Dabei entsteht zusätzliche Latenz, die zu einer spürbaren Verzögerung zwischen Eingabe und Reaktion – also zum Beispiel zwischen Mausklick und Schuss – führen kann. Beim Streamen der Videoinhalte auf das Wiedergabegerät kann es außerdem je nach Codec zu Unsauberkeiten und Artefakten im Bild kommen.

Die Qualität der Internetverbindung ist also gleich doppelt wichtig: Sie bestimmt einerseits, welche Verzögerungen durch den Datentransfer auftreten. Andererseits wirkt sie sich auf die Qualität der Kodierung und damit die Bildqualität aus. Weil die Inhalte live gestreamt werden, muss die Verbindung außerdem absolut beständig sein. Stürzt das Netz kurz ab, kann nicht weitergespielt werden, das ist praktisch ein Always-On-Kopierschutz per Design.

Die Faustregel: Um Cloud Gaming ordentlich nutzen zu können, braucht es eine stabile Leitung mit mindestens 25 Mbit/s. Die Grafikkarten der meisten Dienste kodieren die Bildausgabe direkt mit dem Videocodec H.264, ein guter Kompromiss aus Geschwindigkeit und Qualität. Wer den Codec H.265 und damit optimale Bildqualität nutzen will, braucht eine Verbindung von 50 Mbit/s. Diese Zahlen sind Richtwerte, die sich an Erfahrungen aus c't-Tests orientieren. In diesen Tests spielte auch die Auslastung eines Netzes eine wichtige Rolle: Zu Stoßzeiten waren Cloud-Dienste auch bei schnellen Leitungen nur mit Rucklern nutzbar. Ob und wann sich GaaS in Deutschland durchsetzen kann, hängt also auch vom Fortschritt des Netzausbaus ab. Noch herrscht Verbesserungsbedarf.

Das größte Problem des Cloud Gamings ist die Latenz. Die beim Cloud Gaming zusätzlich aufkommende Reaktionszeit hängt von der Leitung und dem Standort der Server ab. Grundsätzlich gilt: Je geringer die Latenz, desto besser das Spielerlebnis. Hohe Latenzzeiten bedeuten Verzögerungen bei der Eingabe (Input-Lag), die gerade bei kompetitiven Spielen stören. Als unmittelbar gelten gemeinhin Latenzzeiten bis 100 Millisekunden. Bei höheren Latenzen beginnen Nutzer, Verzögerungen wahrzunehmen.

Für die Eingabe am Klienten gehen schon zwischen 25 (High-End-PC und -Peripherie) und 100 Millisekunden (Notebook) drauf. Je nach Standort und Dienst muss man für das Cloud Gaming noch einmal 20 bis 100 Millisekunden dazu addieren, im schlimmsten Fall sogar noch mehr. Die Toleranz für kleine und große Verzögerungen ist vom Spieltyp und vom Nutzer abhängig. Wer das beste Spielerlebnis haben will, braucht beim Cloud Gaming unbedingt eine starke Netzanbindung.

Bei aktuellen Netzen kommt GaaS sowieso nur in Frage, wenn man das Wiedergabegerät per Ethernet-Kabel an das Internet verbindet. 2,4-Ghz-WLAN schafft es nicht, ein flüssiges Bild ohne Verzögerungen anzuzeigen, und auch 5-Ghz-WLAN liefert keine idealen Ergebnisse – dass Top-Titel auch auf dem Handy flüssig laufen, bleibt also erst einmal eine Wunschvorstellung.