Wir haben uns an milde Winter gewöhnt

Klartext: Neu: Schnee!

Wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal auf einer geschlossenen Schneedecke Autobahn fuhren? Wenn es nicht im aktuellen Winterwetter war, liegt der Zeitpunkt wahrscheinlich lange zurück. Und mit sinkender Gewohnheit sinkt auch das Fahrkönnen im Schnee

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Einer der anekdotischen Marker außerhalb der statistischen Datenlage zu weltweit steigenden Durchschnittstemperaturen (kurz: der Erderwärmung) liegt für mich darin, wie sehr wir uns längst an wärmere Winter gewöhnt haben. Als ich eine Saison-Abschlussfahrt an die Silvretta plante, warnten mich so viele Kollegen so eindrücklich vor der bitteren Kälte, dass man meinen müsste, ich wäre barfuß ohne Lampe in den antarktischen Winter aufgebrochen.

Lügen und Kachelmanns Rage-Rants

Wiederholt man etwas nur lange genug, glauben andere Menschen selbst wider besseres Wissen irgendwann daran – die Essenz der Kraft von Lügennachrichten. Also brach ich so dick eingewickelt auf meine Tour auf, dass ich durchgängig schwitzte. Die Außentemperaturen lagen nämlich bei rund 12° C – ein Wert, bei dem wir früher bei März-Ausfahrten in Sommerleder mit Pulli drunter am Ende händereibend „war frisch heute“ sagten, aber wider die heutige Erwartung nicht auf den ersten zwanzig Metern an Unterkühlung verstarben.

Genauso haben wir dieser Tage so oft vom aktuellen Wintereinbruch geredet, dass wir ihn praktisch gesammelt als größte Nachricht seit dem Dschungelcamp wahrnehmen, und da kann Herr Kachelmann mit meterologischen Fakten Rage-ranten, so viel er will: Die Mehrheit denkt so. Das hat Einfluss auf den Autoverkehr.

Schnee fällt auf den Golfstrom

Am besten kennt das vielleicht der Brite. Seine Insel liegt so am Golfstrom, dass die Winter seit jeher feucht, aber mild ausfallen. Die Reifenhersteller versuchen dort immer wieder, wie in Kontinentaleuropa Winterreifen zu verkaufen, auf die der Autobesitzer dann wechselt. Dafür hat der Brite nur ein Lächeln übrig, so mild wie sein Winter. Er fährt ganzjährig Sommerreifen und damit sehr gut. Bis doch mal wieder Schnee fällt. Dann geht gar nichts mehr.

Briten verarbeiten ihre Probleme mit Humor. Deshalb herrscht kein Mangel an Cartoons, in denen eine einzige Schneeflocke ganz London lahmlegt. Da lachen wir dann drüber. Ha, wie unsicher die Insulaner fahren bei ein bisschen Schnee! Klar: Mit Sommerreifen würde ich da auch vorsichtig tun. Noobs. Und so weiter. Doch die britische Ungewöhnlichkeit richtigen Winterwetters, sie wandert stetig weiter gen Alpen.