Locast: Free-TV-Streaming auf Spendenbasis

Ein neues Streaming-Angebot sorgt in den USA für Aufsehen: Terrestrisches TV wird online gestreamt. Gratis. Alles wartet gespannt auf Klagen der TV-Sender.

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große Rundfunkantennen

Terrestrische Antennen

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.
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Etwa jeder vierte US-Amerikaner kann neuerdings terrestrische verbreitete TV-Programme auch gratis online streamen. Der Dienst heißt Locast und ist ausschließlich spendenfinanziert. Dahinter steckt der Versuch des Juristen David Goodfriend, gegen die "Überkommerzialisierung" der TV-Übertragung vorzugehen. Ein ähnlicher, kostenpflichtiger Dienst namens Aereo wurde 2014 vom US Supreme Court als illegal erkannt und musste in Konkurs gehen.

Goodfriend war hochrangiger Mitarbeiter US-Präsident Bill Clintons sowie der Regulierungsbehörde FCC (Federal Communications Commission). Der Anwalt glaubt, sein Angebot rechtlich korrekt aufgesetzt zu haben. Er stellt Antennen auf, um die von TV-Sendern terrestrisch verbreiteten Programme zu empfangen. Diese "übersetzt" er in Internetstreams, die aber nur von jenen abgerufen werden können, die sich auch im Empfangsgebiet des jeweiligen TV-Senders aufhalten.

Locast will also die eigene TV-Antenne ersetzen, die es in immer weniger Haushalten gibt. Bisher hat Locast in neun US-Städten jeweils eine Antenne aufgestellt. Die daraus abgeleiteten Streams könnte fast jeder vierte US-Amerikaner in Anspruch nehmen.

Zwar könnte Locast die Kabelnetzbetreiber einige Kunden kosten. Doch größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Gratis-Dienst die Gebühren drückt, die TV-Sender für die Weiterleitung in Kabelnetzen kassieren. Und das wäre gut für die Kabelbetreiber.

Das Aufsehen in den USA ist groß. Aber weniger, weil es einen attraktiven Gratisdienst gibt, sondern mehr weil noch niemand Locast verklagt hat. Das ist in dem für seine Prozessfreudigkeit bekannten Land eine ausgemachte Sensation. Dabei gibt Goodfriend sogar offen zu, dass er sich einen großen Prozess kaum leisten könnte und klein beigeben müsste.

Denn Locast hat weder ein Geschäftsmodell noch einen Milliardär als Geldgeber. Laut einem Bericht der New York Times hat Goodfriend bislang 700.000 US-Dollar ausgegeben, finanziert durch einen mit 15 Prozent verzinsten Kredit. Dem steht ein bescheidenes Spendenaufkommen von 10.000 Dollar gegenüber. 60.000 Nutzer dürfte Locast inzwischen mehr haben, und mit jedem zusätzlichen Stream steigen die Kosten.

Dennoch verzichtet Locast auf ein Abo-Modell. Aus juristischen Gründen: Während deutsche Kabelnetzbetreiber für die Verbreitung der meisten TV-Programme von den TV-Sendern bezahlt werden, läuft der Hase in den USA in umgekehrter Richtung: Kabelnetzbetreiber müssen für die Weiterleitung von TV-Programmen Lizenzen kaufen. Das Copyright-Gesetz der USA sieht aber eine Ausnahme für die Weiterleitung von TV-Übertragungen durch nicht gewinnorientierte Organisationen vor:

17 U.S. Code § 111 (a)(5): "die (Weiterleitung) erfolgt nicht durch ein Kabelsystem und wird durch eine Regierungseinrichtung oder eine nicht gewinnorientierte Organisation bewerkstelligt, ohne Absicht auf direkte oder indirekte wirtschaftliche Vorteile, und ohne von den Empfängern Gebühren zu verrechnen" (die über die tatsächlichen und angemessenen Kosten für Erhaltung und Betrieb hinausgehen).

Das wird seit Jahrzehnten von Repeatern in Anspruch genommen, die terrestrische TV-Programme empfangen und neu ausstrahlen, um ansonsten unversorgte Gebiete abzudecken. Locast sieht sich als Online-Pendant dieser "Translator" und beruft sich auf die gleiche Bestimmung.

Dabei hilft ein Urteil des US-Bundesberufungsgerichts für den Neunten Bundesgerichtsbezirk (Ninth Circuit) aus dem Jahr 2017. Es hatte zum Erstaunen aller technisch Interessierten geurteilt, dass Übertragungen über das Internet nicht über "Drähte, Kabel, Richtfunk oder andere Kommunikationskanäle" im Sinne des Copyright erfolgen, und somit ein Online-Streamer nicht als Kabelnetzbetreiber klassifiziert werden kann (Fox Television Stations v. Aereokiller, 15-56420).

Doch auch Aereo, das jedem Kunden seine eigene TV-Antenne vermietete, hatte juristisch wasserfest ausgesehen. Die erste und die zweite Instanz urteilten dann auch zugunsten Aereos. Erst der US Supreme Court überraschte mit einer gegenteiligen Entscheidung, die Aereo den Garaus machte.

Außerdem sind schlechte juristische Aussichten in den USA noch lange kein Grund, nicht zu klagen. Entsprechend groß ist in dem Land das Erstaunen, dass Locast noch nicht vor Gericht gezerrt wird. Vielleicht warten die TV-Sender auch einfach darauf, dass sich Locast mangels Spendenaufkommen von selbst erledigt. Das wäre allemal billiger und imageschonender, als eine gemeinnützige Organisation in den Ruin zu klagen. (ds)