Vorratsdatenspeicherung: Bayern zweifelt Vereinbarkeit mit EU-Rechtsprechung an

Die bayerische Regierung hat massive Bedenken, dass das hiesige Gesetz zum anlasslosen Protokollieren von Nutzerspuren mit der EuGH-Rechtsprechung harmoniert.

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Vorratsdatenspeicherung: Bayern zweifelt Vereinbarkeit mit EU-Rechtsprechung an

(Bild: dpa, Ole Spata)

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Im Gegensatz zur Bundesregierung glaubt die bayerische Landesregierung nicht, dass das geltende hiesige Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung den strengen Vorgaben des Europäischen Gerichthofs (EuGH) entspricht. Der größte Knackpunkt sei, dass sie "grundsätzlich anlasslos, generell und damit flächendeckend zu erfolgen hat". Diese Form der Datensammlung stelle damit "den Regelfall und nicht die Ausnahme" dar.

Es würden auch Personen erfasst, bei denen in den Worten des EuGH "keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte", gibt Florian Herrmann, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, in einer Eingabe an das Bundesverfassungsgericht zur laufenden Beschwerde gegen das deutsche Gesetz zu bedenken. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der zusammen mit der Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage eine der Klagen mit rund 30.000 Unterstützern koordiniert, hat die Stellungnahme jetzt veröffentlicht.

Fraglich erscheint Herrmann auch, ob es der EuGH-Rechtsprechung entspricht, mobile Verbindungs- und Standortdaten mit der Funkzellenabfrage zu erheben und auszuwerten, "nachdem dort zwangsläufig auch die Daten unbeteiligter Dritter abgefragt werden". IP-Adressen könnten zudem entgegen der EuGH-Auflagen auch zu solchen Personen gespeichert und abgerufen werden, gegen die kein Verdacht einer "schweren Straftat" bestehe. Berufsgeheimnisträger wie Abgeordnete, Ärzte, Anwälte oder Journalisten würden nicht schon von vornherein von einer Speicherung ausgenommen.

Gemessen vor allem am zweiten Urteil des Gerichtshofs gegen die Vorratsdatenspeicherung hält Herrmann so "jedenfalls Zweifel" für angebracht, ob die deutschen Regeln den EuGH-Anforderungen entsprechen. Trotzdem hofft Herrmann, dass das Gesetz vor dem EuGH Bestand haben könnte. Er plädiert daher an das Bundesverfassungsgericht, den Fall der europäischen Instanz vorzulegen.

Herrmann verweist dabei vor allem auf die allgemeinen Einschränkungen, die Schwarz-Rot vorgenommen habe. Zudem sei unklar, ob die vom EuGH herangezogene EU-Grundrechtecharta in der hiesigen Auseinandersetzung überhaupt ausschlaggebend sei. Generell ist Bayern für die Vorratsdatenspeicherung und lässt als einziges Bundesland grundsätzlich sogar den Verfassungsschutz auf die Informationsberge zugreifen.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht ein früheres schärferes Normenwerk kassiert und die Hürde für künftige anlasslose Datensammlungen höher gelegt hatten, verabschiedete der Bundestag 2015 eine eingeschränktere Variante. Provider müssen demnach prinzipiell Verbindungsinformationen ihrer Kunden zehn Wochen und Standortdaten einen Monat lang speichern. E-Mail-Verkehr bleibt außen vor. Der "Datenkranz" sei so deutlich reduziert, ferner seien umfassende Verfahrenssicherungen eingeführt worden, meint Herrmann. Mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts stehe er auf jeden Fall nicht auf Kriegsfuß.

Die Rechtsprofessoren Jan Dirk Roggenkamp und Frank Josef Braun, die die von den Bürgerrechtlern initiierte Verfassungsbeschwerde vertreten, ermuntern Karlsruhe in ihrer Erwiderung dagegen zu einer "Fortentwicklung" des Urteils von 2010. Damals hatte das Gericht eine Vorratsdatenspeicherung noch nicht als "schlechthin unvereinbar" mit Artikel 10 Grundgesetz und dem darin verbrieften Telekommunikationsgeheimnis angesehen.

Mehr als acht Jahre später habe sich die Situation dramatisch verändert, argumentieren die beiden Juristen. Heute werde "jeder Klick und jede Eingabe im Netz protokolliert". Das Parlament strebe in diesem Umfeld "schrittweise eine immer weiter reichende Erfassung und Registrierung der Freiheitswahrnehmung seiner Bürger ohne jeden Anlass an". Es gelte, "ein Übergreifen des Prinzips einer permanenten, flächendeckenden Datensammlung ins Blaue hinein auf immer weitere Lebensbereiche" zu verhindern. Die Verfassungsrichter dürften sich vom europäischen Niveau des Grundrechtsschutzes nicht "abhängen" lassen.

Deutsche Verwaltungsgerichte entbanden klagende Telekommunikationsfirmen bereits im Lichte der EuGH-Rechtsprechung mehrfach von der Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung. Die Bundesnetzagentur hat die Auflagen daher ausgesetzt, prinzipiell sind sie aber weiter gültig. (anw)