Internetökonomie: Merkel zweifelt an globalen Akteuren made in Europe

Kanzlerin Merkel hat sich dafür ausgesprochen, das Wettbewerbsrecht zu verändern, um den Industriestandort Europa zu stärken. "Merkelfilter" nimmt sie locker.

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Internetökonomie: Merkel zweifelt an globalen Akteuren made in Europe

(Bild: Vodafone Institute)

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Bundeskanzlerin Angela Merkel will mehr dafür tun, um Wertschöpfungsketten im digitalen Zeitalter in Europa zu halten. "Ich habe Zweifel, ob wir wirklich globale Player erreichen können", erklärte die CDU-Politikerin aber gleichzeitig am Dienstag auf der Konferenz "Digitising Europe" des Vodafone-Instituts für Gesellschaft und Kommunikation in Berlin. Sie forderte auf europäischer Ebene eine stärkere Bereitschaft, "das Wettbewerbsrecht zu verändern" und so Hürden für kleine und große Internetfirmen genauso abzubauen und gegebenenfalls auch Zusammenschlüsse zu erleichtern.

"Wir müssen die Wettbewerber im Blick haben und selbstbewusst eigene Antworten auf datengetriebene Geschäftsmodelle geben", betonte Merkel. Europa müsse hier seine Rolle zwischen den großen Polen USA und China finden, wo Daten entweder vor allem in privater Hand lägen oder sich der Staat einen weitreichenden Zugriff darauf sichere. "Das Beste wäre, wenn wir global verlässliche Rahmenbedingungen haben, auch um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden", meinte die Regierungschefin. Schon die G20-Industriestaaten seien aber "sehr weit entfernt" davon, hier gemeinsame Regeln herauszuarbeiten.

Die Frage muss für Merkel in Europa daher lauten: "Sind wir bereit, Unternehmen zuzulassen, die eine globale Rolle spielen?" Die Politik auf dem alten Kontinent könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn die großen Internetkonzerne alle nicht aus Europa seien. Sie habe daher für das nächste Treffen der Regierungschefs im Europäischen Rat im März um eine Diskussion gebeten "über den Industriestandort Europa". Sonst drohe aus der Vielzahl an Regeln im digitalen Binnenmarkt ein Gesamtrahmen zu entstehen, "in dem die freiheitliche Entwicklung nicht ausreichend gedeihen kann".

Rund um die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) habe es "dramatische Kämpfe" gegeben, brachte Merkel ein Beispiel für eine nicht unumstrittene europäische Gesetzgebung. Das sei aber prinzipiell der "richtige Weg" gewesen, für den es inzwischen vor allem "mehr Lob von außerhalb" gebe. Was hier noch fehle, sei ein "schneller lernendes System", um die DSGVO rasch noch zu verbessern.

Nicht weniger umkämpft sei die geplante EU-Urheberrechtsreform, räumte die Kanzlerin ein. Selbst innerhalb der Bundesregierung gebe es dazu sehr unterschiedliche Positionen. Für Merkel ist aber klar: "Wir mussten endlich eine Lösung in Europa finden", auch wenn sich ein Shitstorm wegen der angeblich drohenden, teils bereits nach ihr benannten "Merkelfilter" über sie ergossen habe. Das Internet kann ihrer Ansicht nach aber "kein Raum sein, in dem geistiges Eigentum überhaupt nicht mehr geschützt wird".

Nachholbedarf machte die Christdemokratin bei der digitalen Infrastruktur in Deutschland aus. Diese sollte als Daseinsvorsorge eingeschätzt werden wie elektrische Leitungen oder Wasser, aber von der Wirtschaft errichtet werden und mit der passenden staatlichen Förderung unterstützt werden. In den Städten sei die mobile Netzinfrastruktur zwar bereits recht gut. Aber da, wo ihr Wahlkreis in der Uckermark liege, "sieht es schon etwas düsterer aus".

Die Netzabdeckung müsse flächendeckend sein, unterstrich Merkel. Dies gelte auch für die "Landmaschinen". Bei der aktuellen Debatte über die Auktion von 5G-Frequenzen laufe aber "einiges durcheinander". So wären in Brandenburg viele schon über eine GSM-Verfügbarkeit erfreut. Der Anspruch müsse so heute 4G lauten und man könne die ganze aufgestaute Ungeduld jetzt nicht mit der 5G-Versteigerung abarbeiten und mit den Forderungen zu weit gehen.

"Wieviel Auflagen geben wir, wieviel Freiheit bleibt ihnen?", fragte die Kanzlerin in Richtung der Mobilfunkbetreiber und sprach von einem "harten Kampf", der jetzt auch im parlamentarischen Bereich geführt werde. Vodafone hat einen Eilantrag gestellt, um die für März vorgesehene Versteigerung zu stoppen. Der Konzern lehnt vor allem geplante Auflagen für lokales Roaming als investitionsfeindlich ab.

Zur Infrastruktur zählt Merkel auch den Bildungsbereich, wo sie ebenfalls noch Lücken sieht. Bei der Umsetzung von Ideen für Industrie 4.0, autonomes Fahren, Künstliche Intelligenz (KI) oder Telemedizin sei eine vernünftige Fachkräftebasis nötig. Ohne gut ausgebildete IT-Spezialisten gehe hier wenig. Trotz Initiativen wie dem Girls Day und diversen Aktionen rund um die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) müsse die Ausbildung noch stärker auf "die Zukunftsarbeitsplätze" ausgerichtet werden.

Auf besserem Weg sieht die Kabinettschefin die Politik beim Ziel, alle staatlichen Interaktionen des Bürgers zu digitalisieren und bis Ende 2020 über ein gemeinsames Portal zugänglich zu machen. Auch hier sei es zwar "schwierig mit dem Föderalismus". Im Rahmen des Online-Zugangsgesetzes entwickele der Bund nun aber Anreize für einen Wettbewerb unter den Ländern zur raschen Digitalisierung neuer Funktionen. Daneben gebe es mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) noch Streit, wie der eigentliche Zugang zu dem Bürgerkonto erfolge. Sie lege dabei Wert darauf, dass die Nutzer "nicht links und rechts noch ein Gerätchen in der Tasche haben" müssten. (mho)