Anspruch auf Homeoffice: Schon längst ausgereizt?

Die Politik will einen Rechtsanspruch auf Homeoffice einführen. Ein Blick in die Praxis lässt zweifeln, ob das wirklich noch nötig ist.

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Arbeit am Computer

(Bild: SFIO CRACHO, Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
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Im Koalitionsvertrag steht: "Wir wollen mobile Arbeit fördern und erleichtern. Dafür werden wir den rechtlichen Rahmen schaffen.“ Jetzt hat die SPD in einem Strategiepapier einen Rechtsanspruch auf Homeoffice und mobiles Arbeiten beschlossen. Unklar ist, ob die Unionsparteien auf den Vorschlag der SPD eingehen. Das ist Politik.

In der Praxis ist mobiles Arbeiten längst angekommen. In den 1990er Jahren hieß Homeoffice noch Telearbeit. Damals haben die Mitarbeiter von zu Hause aus gearbeitet, über Standleitungen waren sie an die Rechner ihrer Arbeitgeber angeschlossen. Dieses Modell der festen Arbeitsplätze und Leitungen hat sich im Homeoffice fortgesetzt. Doch das ist ein streitbarer Begriff.

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Die Bezeichnung Homeoffice schränkt den Ort der Handlung ein. "Das war uns zu wenig. Deshalb haben wir das Konzept räumlich und zeitlich so flexibel wie nur möglich gemacht und zu Mobilarbeit erweitert“, sagt Jürgen Lipp, bei BMW zuständig für das Thema. Mobiles Arbeiten darf bei dem Automobilbauer überall dort stattfinden, wo es verantwortlich machbar ist, also Vertraulichkeit gewahrt bleibt. Schon 2012 hat das Unternehmen für alle Mitarbeiter in einem Gebäude in München ein Pilotprojekt gestartet. Wer wollte, durfte mobil arbeiten. An dem Standort waren Mitarbeiter der Personalabteilung und Führungskräfte die Piloten. "Die Ergebnisse waren positiv. Deshalb haben wir das Projekt 2013 in eine Betriebsvereinbarung überführt und danach auf unsere Standorte weltweit ausgeweitet“, so Lipp.

Bei BMW dürfen seitdem alle mobil arbeiten, wenn es die Aufgabe zulässt. Weltweit hatte das Unternehmen im vergangenen Jahr rund 54.000 mobile Arbeiter, in Deutschland sind es 34.000 gewesen. Das ist immerhin die Hälfte des Stammpersonals, wenn man die Produktionsmitarbeiter am Band abzieht. Autos von daheim zusammenbauen geht nicht. Das Gros der mobilen Beschäftigten sind Entwickler, Programmierer und andere typische Büroarbeiter. "Alle dienstlichen Tätigkeiten außerhalb von Büros oder Arbeitsräumen fallen unter den Begriff Mobilarbeit. Die Spanne reicht von der klassischen Büroarbeit über strategischer Konzeptarbeit bis hin zur Fernwartung von Produktionsanlagen“, definiert Lipp die Zielgruppe. Die mobile Arbeit kann sich im Zeitrahmen von wenigen Stunden bis hin zu ganzen Tagen abspielen.

Jürgen Lipp von BMW: . "Nicht jeder entscheidet sich für eine Nutzung der Mobilarbeit“

Die Betriebsvereinbarung schafft für alle BMW-Mitarbeiter den Rahmen für mobiles Arbeiten. Darauf kann sich ein Mitarbeiter berufen, wenn er das tun möchte. „Ob es seine Aufgabe zulässt, das muss er mit seinem Vorgesetzten besprechen“, stellt Lipp klar. Mobiles Arbeiten setze bei den Führungskräften Vertrauen in die Mitarbeiter voraus und gehe mit dem bewussten Verzicht auf klassische Arbeitszeitkontrolle einher.

Auch bei BMW hatten anfangs manche Vorgesetzte Bedenken hinsichtlich dieser Arbeitsform. Die wurden mit Schulungen, Information und guten Beispielen ausgeräumt. "Nicht jeder entscheidet sich für eine Nutzung der Mobilarbeit“, weiß Lipp. Eine persönliche Affinität müsse schon vorhanden sein. Der Personaler geht davon aus, dass die Anzahl der mobilen Arbeiter bei BMW nicht mehr groß steigen wird. Mit der Hälfte der möglichen Beschäftigten sei die Grenze fast schon erreicht.

Die R+V Versicherung bietet seit gut zehn Jahren Homeoffice an. Zuerst mit Einzelverträgen, vor drei Jahren wurde eine Pilotphase mit einer Betriebsvereinbarung gestartet. "Die läuft im März aus, dann führen wir sie zeitlich und inhaltlich flexibler fort“, sagt Miriam Stein, Abteilungsleiterin in der Personalbetreuung. Bislang war Homeoffice auf zehn Prozent der Mitarbeiter begrenzt und die mussten mindestens 50 Prozent ihrer Arbeit von zu Hause erledigen.

Etwa die Hälfte aller R+V-Mitarbeiter hat einen Laptop und kann damit anlassbezogen auch von zu Hause oder anderen Orten aus arbeiten. "Diese temporäre Form mobilen Arbeitens ist nicht Teil unserer Betriebsvereinbarung“, sagt Stein. In der ist ausdrücklich Homeoffice geregelt. Also abschließbares Büro daheim mit Schreibtisch und bei Bedarf Aktenvernichter. Die typischen Heimarbeiter der Versicherung haben eine dispositive Tätigkeit, etwa den Einzug von Beiträgen, sind Programmierer oder bekommen ihre Aufgaben von einer Routine Engine vermittelt. Das ist Software, die Anfragen von Kunden an Mitarbeiter verteilt: E-Mails oder Anrufe zur Schadensregulierung.

Miriam Stein von der R+V Versicherung: "Wir kontrollieren nicht, wann der PC zu Hause ein- und ausgeschaltet wird."

"Wir kontrollieren nicht, wann der PC zu Hause ein- und ausgeschaltet wird“, so Stein. Ihre Zeiterfassung machen die Homeoffice-Mitarbeiter manuell. Einen Verlust der persönlichen Kontrolle über ihre Mitarbeiter befürchteten zwar manche R+V-Vorgesetzten, obwohl sie das so nicht formuliert hatten. "Homeoffice lebt von der Haltung der Vorgesetzten“, sagt Stein. Aufgrund der positiven Erfahrungen im Pilotprojekt empfiehlt sie den Führungskräften Homeoffice als Alternative Arbeitsform. Die Nachfrage sei da. Homeofficeverträge stellt die R+V aber immer auf ein Jahr befristet aus, um zu sehen, ob es läuft wie geplant.

"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist schlechter“, weiß Oliver Stettes, Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Das hat in einer Studie herausgefunden: Wer sein Team weniger stark kontrolliert, kann die Zufriedenheit und Produktivität seiner Mitarbeiter langfristig steigern. "Dennoch haben manche Vorgesetzte nach wir vor Angst, durch Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten die Kontrolle über ihre Mitarbeiter zu verlieren“, sagt Stettes. Dabei ist es produktiver, nicht die Arbeitszeit, sondern das Ergebnis zu kontrollieren.

Daraus kann man aber nicht ableiten, dass, wenn alle im Homeoffice oder mobil arbeiten würden, die Produktivität sprunghaft steigt. Denn: "Nicht jeder mag so arbeiten. Viele brauchen und wollen eine klare Trennung zwischen Privatem und Beruflichen.“ Homeoffice und mobiles Arbeiten löst diese Grenzen auf. Stettes schätzt, dass ein Viertel bis ein Drittel aller Beschäftigten schon so arbeitet und es nicht nennenswert mehr werden, weil diese Arbeitsform auf die anderen nicht passt. Sei es aus persönlichen Gründen oder weil der Job persönliche Präsenz voraussetzt. (axk)