Megakonstellationen: Bedrohung für die Raumfahrt

Immer gigantischere Satellitengürtel werden in den Orbit geschossen. Bemannte Missionen könnte das auf Dauer gefährden.

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Megakonstellationen: Bedrohung für die Weltraumfahrt

(Bild: Ms. Tech / Globe: Wikimedia commons)

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Von
  • Mark Harris
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Als Indien kürzlich demonstrierte, dass es dem Land möglich ist, einen eigenen Satelliten mit einer Rakete abzuschießen, fand das NASA-Chef Jim Bridenstine gar nicht gut. "Vorsätzlich Trümmerfelder zu schaffen ist falsch... Wenn wir das All zerstören, kriegen wir es nicht wieder", kommentierte er.

Der Direktor der US-Raumfahrtbehörde sprach damit das zunehmende Problem des Weltraumschrotts an: Tote Satelliten, Überbleibsel von Raketen oder Unrat von früheren Zusammenstößen im Orbit bedrohen im Einsatz befindliche Satelliten ebenso wie die bemannte Raumfahrt und die internationale Raumstation ISS.

Noch ist es zu früh, Aussagen über das Trümmerfeld zu treffen, das beim Anti-Satellit-Abschuss der Inder entstanden ist – deren Weltraumkräfte behaupten, es werde in ein paar Wochen verglühen. Firmen, die Weltraumschrott überwachen, schauen sich den Bereich genau an. Beim amerikanischen Verteidigungsministerium, dem Pentagon, hat man derzeit 250 einzelne Stücke auf dem Schirm, wie ein Beamter gegenüber Medien mitteilte. Der Zusammenstoß mit der Rakete, die die Inder zündeten, erfolgte allerdings in relativ geringer Höhe. Entsprechend sollte die Mehrzahl der Schrottteile innerhalb von Monaten in die Erdatmosphäre gezogen werden.

Und auch wenn Bridenstine wegen des indischen Tests nicht glücklich war – Experten zum Thema Weltraumschrott sehen deutlich größere Probleme an anderer Stelle. Dazu gehören die sogenannten Megakonstellationen mit zahlreichen Satelliten, die höher im Orbit sitzen und für deutlich schwerere und dauerhaftere Bedrohungen der Raumfahrt sorgen könnten, wie es heißt.

Nahezu die Hälfte des gesamten Weltraumschrotts in der Erdumlaufbahn soll von zwei Ereignissen stammen: Von einer Anti-Satelliten-Testmission der Chinesen im Jahr 2007 und einem ungeplanten Zusammenstoß zweier Satelliten im Jahr 2009.

Doch es gibt Pläne, den vergleichsweise leicht zu erreichenden Low Earth Orbit (LEO) deutlich beengter zu machen. Beispielsweise plant das Satelliten-Start-up OneWeb das Aussetzen von 900 kleinen Satelliten, um Breitband-Internet-Verbindungen in Erdregionen zu ermöglichen, wo diese noch fehlen. Konkurrent SpaceX hat sich gerade die Genehmigung dafür geholt, sogar 12.000 Satelliten im Low Earth Orbit sowie dem Very Low Earth Orbit zu verteilen. Andere Unternehmen wie Telesat und LeoSat haben ähnlich, wenn auch etwas moderatere Pläne.

Dieser schnelle Zuzug neuer Satelliten könnte auf Dauer zu ernsthaften Problemen führen. In einem Paper, das kürzlich beim 69. International Astronautical Congress in Bremen vorgestellt wurde, errechnete Glenn Peterson, Forscher bei der Aerospace Corporation, die Auswirkungen, die mehrere Tausend neue Satelliten für die Kommunikation, die Überwachung und die Erdbeobachtung im LEO-Bereich haben könnten, wo schon jetzt die Mehrheit des Weltraumschrotts herumfliegt.

Sollten all diese Megakonstellationen wirklich ins All gelangen, rechnet der Wissenschaftler mit über 67.000 Kollisionswarnungen durch die bestehenden Trackingsysteme – im Jahr. Die Betreiber müssten dann Hunderte von vorsorglichen Satellitenmanövern fahren, um die (womöglich auch nur geringe) Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes zu vermeiden.

Wie so etwas aussehen könnte zeigte sich im Januar, als das Start-up Capella, das einen einzigen Radar-Bildgebungssatelliten namens Denali betreibt, sich dazu entschied, eine potenzielle Kollision mit einem kleinen kommerziellen CubeSat durch ein Ausweichmanöver zu vermeiden. "Die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes stieg um 12 Prozent", erläutert Capella-Chef Payam Banazadeh, "das ist ein großes Risiko, das wir sehr ernstgenommen haben".

Es war das erste Mal, dass Capella die Thruster-Motoren von Denali gestartet hatte; der Prozess dauerte mehrere Tage. Spätere Manöver sollen schneller erfolgen, doch für die Firma sorgen sie stets für Kosten, insbesondere in dem Fall, dass sie mehrmals pro Tag notwendig werden. "Statt Bilder in einem bestimmten Erdbereich zu sammeln, verändert man seinen Orbit, man nimmt Leistung und Ressourcen weg, um diese Manöver durchzuführen." Auch koste es Zeit, das Ausweichprozedere anschließend zu überprüfen. Die Gefahr ist dennoch real: Sollte die Firma nur einmal falsch liegen, wäre dies eine Katastrophe.

Der 2009 erfolgte Zusammenstoß ("Conjunction") zwischen einem Iridium-Kommunikationssatelliten und einem inaktiven russischen Erdtrabanten zeigt das. Dieser habe, so Experte Peterson von der Aerospace Corporation, prognostiziert werden können, doch sei der Wahrscheinlichkeitswert nicht so hoch gewesen, dass er sich von anderen potenziellen Warnungen für die Iridium-Konstellation abgehoben hat. Die Firma wird das Manöver kaum aus Kostengründen unterlassen haben.

Die Probleme werden zunehmen. "Ich selbst mag zwar ein "guter Hirte" des Weltraums sein, doch das heißt nicht, das andere das auch sind", kommentiert Capella-Geschäftsführer Banazadeh. Es brauche nur ein paar "schlechte Mitspieler", um alles für die ganze Branche signifikant schlimmer zu machen.

Immerhin soll die Überwachung künftig besser laufen. Ein neues erdbasiertes Radarsystem, das Space Fence, soll im Rahmen des Space Surveillance Network der USA bald hinzustoßen. Dieses könnte die Genauigkeit der Vorhersagen über potenzielle Kollisionen deutlich verbessern. Doch die Technik ist ein zweischneidiges Schwert, wie Peterson sagt. Die aktuellen Systeme können nur die 20.000 Weltraumschrottstücke verfolgen, die größer als 10 Zentimeter sind. Die neuen Sensoren gehen auf 2 Zentimeter hinunter, davon gibt es geschätzt 200.000.

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Peterson errechnete daraus, dass selbst bei einem hochgenauen Tracking die Rate an Fehlalarmen signifikant nach oben gehen wird. Die größeren Konstellationen müssten sich auf mehrere Hundert pro Jahr einstellen. Wie die Betreiber reagieren, weiß noch niemand – einige könnten das Risiko, mit einem Objekt von der Größe einer Schraube zusammenzustoßen, die mit 30.000 km/h unterwegs ist, als gering einschätzen, andere könnten Ausweichmanöver fliegen.

"In diesem Moment gibt es noch keine internationalen Regeln, die sich vernünftig durchsetzen lassen – das gilt für alle Länder und alle Firmen", sagt Banazadeh von Capella. Doch die nun verwendete "Selbstregulierung" reicht nicht. "Die kann im Weltraum sehr, sehr gefährlich sein."

(bsc)