Artikel 13/17: Ist das Internet noch zu retten?

Die EU-Urheberrechtsreform zeigt, wie festgefahren die Netzregulierung ist. Weder große noch kleine Konzerne können damit leben.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 5 Kommentare lesen
Artikel 13: Ist das Internet noch zu retten?

(Bild: Ms. Tech)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • James Ball
Inhaltsverzeichnis

Sie ist beschlossen, die neue Urheberrechtsdirektive der Europäischen Union. Sie wird, davon gehen nahezu alle Experten aus, das Internet in den 28 Nationen den Gemeinschaft verändern – und hat sich auch deshalb als enorm kontrovers erwiesen. Gewollt haben sie zum Schluss nur noch wenige. Hunderte von Juristen aus dem Rechtsgebiet des geistigen Eigentums hielten sie für ungerecht, Wikipedia ließ eine Blackout-Kampagne in mehreren Ländern laufen und es wurden über fünf Millionen Unterschriften gegen Artikel 13, der nun Artikel 17 heißt, eingereicht.

Die Copyright-Reform betrifft aber nicht nur die Europäische Union, sondern wird Auswirkungen auf das Netz auf dem gesamten Planeten haben. Die EU-Länder zeigen sich proaktiver als die Vereinigten Staaten von Amerika, wenn es um die Regulierung des Internets und der Technikriesen geht. Das hat auch schon die umstrittene Datenschutzrichtlinie DSGVO gezeigt – und nun besagte Urheberrechtsreform. Auch anderswo beobachtet man dies genau, sogar in der US-Politik schaut man mittlerweile auf Brüssel, um sich Ideen zu holen.

Neben Artikel 13/17 gibt es noch andere umstrittene Regeln in der Urheberrechtsdirektive. Artikel 11 besagt, dass Suchmaschinen und ähnliche Angebote – womöglich bis hinunter auf Blogs – Verlage bezahlen müssen, wenn sie auch nur kleinste Ausschnitte ihres Materials verwenden. Diese von Kritikern als "Linksteuer" bezeichnete Regelung soll dazu führen, dass Journalismus wieder lukrativer wird – allerdings glauben Beobachter eher, dass nur Großverlage etwas hinzuverdienen werden. Und weil Google und andere die Lizenzgebühren schlicht nicht bezahlen wollen, könnte es dazu führen, dass Nachrichteninhalte aus Angeboten verschwinden könnten. Dies könnte die Nutzererfahrung ruinieren und Suchende dazu führen, auf Angebote auszuweichen, die womöglich illegal sind. Sollte es so kommen, wäre dies statt eines "Win Win Win" ein "Lose Lose Lose": Für Suchmaschinen, Verlage (die weniger Traffic erhalten) und Nutzer.

Noch kontroverser aufgenommen wurde hingegen Artikel 13, der nun Artikel 17 ist. Er erhöht die rechtlichen Verantwortlichkeiten für Dienstebetreiber wie YouTube massiv, wenn es um Material geht, das Urheberrechte verletzen könnte. Kritiker sagen, der Ansatz laufe darauf hinaus, dass Inhalte stets als illegal betrachtet werden, bevor nicht bewiesen ist, dass dem nicht so ist.

In Reaktion auf kritische Stimmen wurden zwar bestimmte Ausnahmen eingeführt, etwa für satirische Inhalte oder Non-Profit-Seiten wie Wikipedia. In der Praxis glauben Experten und Aktivisten jedoch nicht, dass das alles zensurfrei abgeht. Die notwendigen automatischen Filtersysteme – "Uploadfilter" gilt als großes No-No-Wort bei den Konservativen, die für die Reform waren – müssen sicherstellen, dass Content legal ist, bevor er durchgelassen wird.

Nicht nur große Seiten mit nutzergenerierten Inhalten benötigen ein automatisches Urheberrechtsüberprüfungssystem. Videos können hier diverse Probleme haben: Sie enthalten beispielsweise Zitate anderer Sendungen, Musikuntermalung und mehr. Schlimmstenfalls würden Inhalte mal eben blockiert, die eigentlich völlig legal sind, weil sich die Uploadfilter zu "dämlich" anstellen.

Solche automatischen Systeme werden von der Urheberrechtsrichtlinie zwar nicht verlangt, doch sind sie der einzige effektive Weg, Haftungsrisiken zu verringern, wie Sebastian Schwemer, ein Forscher am Centre for Information and Innovation Law der Universität Kopenhagen meint. Er fürchtet, dass Artikel 13 zwar einige Probleme löst, in anderen Bereichen aber zahlreiche neue einführt. "Bedenken aus der Wissenschaft, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Start-ups und anderen Bereichen wurden ignoriert, scheint es mir."

Die geplanten Ausnahmen sind schwach. Jede Seite, die älter als drei Jahre ist, muss sich an die Regeln halten. Das könnte kleine Angebote lähmen, insbesondere wenn nicht genug Geld vorhanden ist. Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales gehörte zu den schärfsten Kritikern. Als die Urheberrechtsrichtlinie verabschiedet wurde, fand er das enorm schlimm. Er geht davon aus, dass sie den großen Techkonzernen wenig anhaben wird, den kleinen Firmen und Organisationen aber schon. "Ihr als Internetnutzer habt eine riesige Schlacht im europäischen Parlament verloren", sagte er.

Im Gespräch mit Technology Review wurde Wales noch schneidender. "So viele kleine, hübsche, ältere Orte im Netz werden so reguliert werden, als hätten sie die Ressourcen eines Giganten zur Verfügung. Das bedeutet noch mehr Macht für die großen Plattformen."

Mehr Infos

Die Wut über Artikel 13/17 zeigt, wie schwer es ist, Änderungen im Onlineleben herbeizuführen. Beispielsweise gibt es noch das Problem, dass Unternehmen nun damit konfrontiert werden, dass alle 28 EU-Länder ihre eigene Version der Urheberrechtsrichtlinie umsetzen werden. Die Landesparlamente müssen sie in Gesetze gießen, was mal mehr und mal weniger scharf erfolgen könnte. Letztlich könnten Unternehmen und Start-ups mit 28 verschiedenen Durchsetzungsregimen konfrontiert sein. Tatsächlich haben Vertreter der Bundesregierung bereits angekündigt, bestimmte Teile der Richtlinie "milder" umsetzen zu wollen. Doch das wird kaum in anderen Ländern – etwa dem starken Befürworter Frankreich – der Fall sein.

Natürlich gibt es viele gute Gründe dafür, die Macht der Technikgiganten zu beschneiden. Doch trotz aller guter Vorsätze: Lobbyarbeit wird aus allen Richtungen gemacht. Ohne viel Vorsicht und Aufmerksamkeit können solche Reformen auch ins Gegenteil umschlagen und denjenigen, gegen die sie sich eigentlich richten, sogar noch mehr Macht schenken. Die kleinen Firmen, die eigentlich geschützt werden sollten, verlieren dann.

(bsc)