Zwillinge bereit für den Mars

Dank Experimenten mit dem Astronauten Scott Kelly und seinem Bruder weiß die Forschung mehr über die Frage, was Langzeitaufenthalte im All mit dem Körper machen.

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Zwillinge bereit für den Mars

Scott Kelly und sein Bruder Mark Kelly (links)

(Bild: NASA)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Erin Winick
Inhaltsverzeichnis

Vor drei Jahren kam der US-Astronaut Scott Kelly auf die Erde zurück. Seine Ankunft von der internationalen Raumstation ISS am 1. März 2016 markierte einen Rekord für einen Amerikaner im Weltall – insgesamt 340 Tage war er an Bord und begab sich dabei unter ein medizinisches Mikroskop. Sein Bruder Mark Kelly (der ebenfalls Astronaut war), lebte unter ähnlich genauer Beobachtung weiter auf der Erde. Das Zwillingspaar bot die einmalige Chance, zu untersuchen, wie der menschliche Körper sich über lange Perioden im Raum verhält. Das ist wichtig für spätere Touren etwa zum Mars.

Mittlerweile liegen die Ergebnisse vor, was Mikrogravität, Strahlung und das allgemeine "Raumklima" mit Scott anstellte. Dutzende Forscher auf dem ganzen Planeten waren an dem Projekt "Twins Study" beteiligt – und es spricht für eine weltraumbasierte Zukunft der Menschheit. "Wir haben hauptsächlich gute Nachrichten für die Raumfahrt und diejenigen, die gerne Astronauten werden wollen", sagt Chris Mason, Professor an der Cornell University, der die NASA-Zwillingsstudie anführte. "Obwohl der Körper durch eine außergewöhnliche Anzahl von Veränderungen ging, zeigte er auch eine außergewöhnliche Plastizität bei der Rückwandlung hin zu einer normalen Erdexistenz."

Die Untersuchung schaute sich eine Reihe biologischer Marker an – vom Immunsystem (das ähnlich arbeitete wie auf der Erde) bis hin zur Form des Augapfels (Scotts Netzhautnerv verdickte sich). Besonders spannend wurde es, als man sich DNA und Genexpression ansah.

Susan Bailey und ihre Kollegen von der Colorado State University untersuchten die Länge der Telomere und des damit verbundenen Enzyms Telomerase. Telomere befinden sich am Ende der DNA und ihre Länge steht grundsätzlich für Alter und Gesundheit einer Person. Dinge wie Alterung, Stress oder Strahlung können zu ihrer Schrumpfung führen.

Einige Fakten der Zwillingsstudie in Zahlen.

(Bild: NASA)

Ein Ausflug ins All sorgt sowohl für Stress als auch für Strahlung und entsprechend dachten die Forscher, dass man es mit verkürzten Telomeren zu tun bekäme. "Das genaue Gegenteil war der Fall", so Bailey. Schon die ersten Proben, genommen zwei Wochen nach Beginn des ISS-Fluges, zeigten signifikant längere Telomere. Und der Trend setzte sich über den Zeitraum im All fort: Die Länge wuchs insgesamt um 14,5 Prozent.

Doch was bedeutet das? Einen Jungbrunnen stellt das All nicht da. Denn: Nach Rückkehr auf die Erde verkürzten sich die Telomere wieder deutlich. "Das sind sehr, sehr Raumfahrt-spezifische und sehr schnelle Veränderungen, die bei uns für einiges Kopfzerbrechen sorgten, was zum Henker der Auslöser ist", sagt Bailey. Die durchschnittliche Telomer-Länge kehrte innerhalb von sechs Monaten zu einem Normalwert zurück, doch eine abnorm hohe Anzahl kurzer Telomere, die sich nach der Rückkehr auf die Erde bildete, verblieb im Körper.

Wenig hilfreich ist, dass ein entscheidendes Stück Information fehlt. Die Daten zur Telomerase, jenem Enzym, das mit der Länge der Telomere zu tun hat, schaffte es nicht zurück ins Labor. Obwohl die Proben von Kellys Körper im Weltraum die Forscher in unter 48 Stunden erreichten, ging die Enzymaktivität auf dem Weg verloren. Offenbar ist ein Soyuz-Kapsel nicht der optimale Ort für perfekte Laborbedingungen.

Ein Jahr im All mit Scott Kelly (12 Bilder)

Spaß mit Orangen: Scott Kelly freut sich über die Früchte seiner Arbeit.
(Bild: NASA)

Die andere große Veränderung wurde in Kellys Genexpression entdeckt, also der Art, wie die DNA Zellen dazu bringt, Komponenten wie Proteine zu produzieren. Die Forscher sahen, das viele Gene sich während des ISS-Flugs aus- und wieder anschalteten, besonders jene im Zusammenhang mit dem Kreislauf und dem Immunsystem. Diese Veränderungen geben einen Hinweis darauf, wie der Körper versucht, sich an den Weltraum anzupassen.

Mason meint, dass in der ersten Hälfte der Mission fast 1500 Gene festgestellt wurden, deren Expression sich veränderte. In der zweiten Hälfte veränderten sich sechs Mal so viele. Dies legt nahe, dass der menschliche Körper Veränderungen während seiner Zeit im Weltraum durchläuft – und das nicht nur zu Beginn der Mission.

Ähnlich wie bei den Telomer-Ergebnissen kehrten die Veränderungen der Genexpression auf der Erde zumeist wieder auf ihr Normalmaß zurück. Dennoch scheinen mehrere Hundert Gene ihre Zeit im Weltraum "im Gedächtnis" behalten zu haben und verblieben auch zuhause wie im All.

Ob das viel ist – und was das für direkte Auswirkungen auf die Gesundheit hat – wissen wir noch nicht. Es fehlt einfach an Vergleichszahlen, es gibt nur jene von Kellys Bruder. "Das ist so wie als ob man zum ersten Mal den Blutdruck eines Menschen nimmt", erläutert Mason. "Wir wissen nicht, was die tatsächlichen Referenzpunkte sind, solange wir nicht mehrere Menschen untersucht haben."

Obwohl Scott Kelly mittlerweile über deutlich mehr Daten zu seiner Gesundheit verfügt als wohl die meisten anderen Menschen auf dem Planeten, hat er bislang keine Pläne, sein Leben zu verändern. Er fühlte sich nach der Landung eine Zeit schlecht, wie das bei den meisten Astronauten der Fall ist. Gesundheitliche Veränderungen hat er jedoch bislang nicht gemerkt. "Ich fühle mich ein bisschen anders als beim Start der Mission, aber das liegt wahrscheinlich einfach daran, dass ich vier Jahre älter bin."

Die nächsten Schritte für Baileys Team ist nun die Schaffung besserer Testmethoden für die Beobachtung der Telomerase-Aktivität – entweder auf der ISS oder auf der Erde.

Mason schaut sich außerdem neue Techniken an, um den Transport von Proben unproblematischer und weniger zeitkritisch zu machen. Sein Team konnte bereits die erste DNA-Sequenzierung auf der ISS durchführen und will diesen Ansatz weiterbringen.

Mehr Infos

Die anderen beteiligten Wissenschaftler wollen mehr Proben haben und vor allem mehr Probanden, die auch noch länger im All verbleiben. Ein Astronaut allein reicht nicht, um definitive Rückschlüsse zu ziehen. Es soll weitere Studien mit zwei Monaten, sechs Monaten und zwölf Monaten geben. Diesen Missionen wird allerdings wohl der erdbasierte Zwilling als Kontrollgruppe fehlen.

"Astronauten haben die Wahl, ob sie menschliche Versuchskaninchen sein wollen", sagt Kelly. "Man kann sich aussuchen, ob man die Forschung mitmacht. Doch es fliegen so wenige Menschen in den Weltraum, dass es fast zur Pflicht wird, an solchen Projekten teilzunehmen. Es geht uns schließlich um die Wissenschaft."

(bsc)