Wenn es beim Fahren um mehr geht als ums Ankommen

Klartext: Freude erfahren

Wenn wir über die zu lösenden Probleme der Menschheit reden, fällt uns naturgemäß zuerst das Nötige ein, das Mindeste. Überlegen wir jedoch länger, kommt uns auch in den Sinn, dass wir in unserem Lebensraum mehr wollen als nur überleben. Wir wollen auch Freude

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Clemens Gleich

Wenn der Kollege Florian Pillau über Fahrfreude schreibt, landet der eine oder andere Zustimmungsbrief bei mir. Diese Verwechslung liegt wahrscheinlich schlicht und ergreifend daran, dass wir zum Thema Fahrfreude sehr ähnliche Standpunkte vertreten. Im Fahren erlebt der Mensch wunderbare Flow-Momente der Motorik, eine Erweiterung seines Selbstbilds um das Fahrzeug in einer Art, die andere, kleinere Werkzeuge nicht bieten. Wir erleben uns wahrhaftig als über-menschlich. Man kann Mobilität natürlich aufs Busfahren reduzieren. Der Bus bringt uns genauso ans Ziel wie ein Porsche, nur günstiger, ökologischer und mit Facebook über WLAN statt Lenkrad drehen. Wir können auch die Nahrungsaufnahme auf einen optimalen Nährstoffbrei optimieren, statt jeden Tag aufwendig zerstückelte Pflanzen und Tiere in Kochgeschirr zu arrangieren. Wir tun aber beides nicht, weil wir vom Leben trotz aller Probleme mehr erwarten als ein schlichtes Vegetieren.

Carfreitag

Diesen Umstand verliere auch ich im Alltag gelegentlich aus den Augen. Die KTM stand jetzt lange Zeit im Bergbunker herum. Schuld daran war nicht der Winter, der ist in Stuttgart eine vernachlässigbare Größe, sondern erst war die Batterie kaputt, dann die Bremsscheibe, dann die Bremsscheibe noch einmal, weil die Reparatur nicht fruchtete (man kaufe nicht bei Galfer) und schließlich hatte ich keine Zeit. Ausgerechnet am Karfreitag rückte ich endlich aus, obwohl ich sonst sonnige Feiertage meide wie der Teufel das Weihwasser.

“Huch, ist das laut!“, dachte ich, so lange hatte ich den Einzylindern nicht mehr über 8000 U/min gedreht, und das bei serienmäßiger Auspuffanlage. „Huch, ist das schnell!“, dachte ich kurz darauf beim Überholen, und das bei moderaten 75 PS Nennleistung. So geht es dem Saisonkennzeichenfahrer wahrscheinlich jedes Frühjahr. Ich grüßte jeden anderen Motorradfahrer mit dem Enthusiasmus eines Trike-Fahrers, der nur zum Grüßen ausrückt, und mir wurde das Gegrüße erst Stunden später wieder so lästig wie immer. Es war ein herrlicher Tag, der mich wieder von einer einfachen Wahrheit überzeugte, die wie viele einfache Wahrheiten im Alltag zu wenig Beachtung findet: Motorradfahren ist gut für die Seele.

Motorrad oder Sportwagen

Das Motorrad ist zwar ein physikalisch besonders interessantes Fahrzeug, die seelenreinigende Eigenart des Fahrens jedoch lässt sich in vielen Fahrzeugen finden, deren Konstruktion einen Menschen bedachte, dem seine Aufgabe so viel Freude bereiten sollte, dass er sie mit Freude erledigt. Am Karfreitag sah ich alle BMW 1er M Coupes der Umgebung Calw ausrücken. Ihre Fahrer sahen glücklich aus, obwohl sie im Osterverkehr steckten. Ich sah einen Porsche 356. Ich sah das kleine Glück im VW Golf GTI aller Baujahre. Ich sah alle Cabrios offen. Selbst die Wohnmobilfahrer, die nun wirklich nicht aufgrund der fahrdynamischen Eigenschaften ihrer Styropor-Schneckenhäuser ausrücken, zeigten außer der Freude am Campen eine erkennbare Freude an der Fortbewegung ihres Mobils.

Hier gibt es jedoch einen Unterschied zwischen dem Wohnmobil und dem Sportwagen: Ich behaupte, der Wohnmobilfahrer erfreute sich der guten Funktion seines Reisegefährts auch oder gerade dann, wenn es automatisiert führe. Letztendlich geht es beim Campen nicht um die Fortbewegung an sich, sondern darum, ein fahrbares Haus jeden Abend an ein anderes Sonnenuntergangs-Panorama stellen zu können. Seine Fahr-Eigenschaften stehen dort, wo Toyota den Aygo hinkonstruiert hat: bei gerade so nicht gefährlich. Mehr Fahrfertigkeit geht nur auf Kosten des Wohnens.

Fahrerlebnis ohne Schalter

Der Sportwagenfahrer dagegen lebt für das Erlebnis, das ein Porsche oder Lotus ihm erschließt. Ich schreibe bewusst „Erlebnis“, denn dieses steht weit über der reinen Funktion. Vielen Sportwagenfahrern ist ein moderner deutscher Sportwagen fast schon zu langweilig, selbst wenn er mit der Stoppuhr gemessen alles besser macht als Konkurrenten. Doch wenn diese Konkurrenten bei objektiv schlechterer Funktion mehr Erlebnis bieten, finden sie ihre Käufer. Wenn das nicht so wäre, hätte es niemals eine Autofirma wie Alfa Romeo geben können. Ein Alfa wie die Giulia verbindet Stärken an der Grenze zur Genialität mit Schwächen an der Grenze zum Schrott ab Werk. Wir vergeben das Eine, weil es das Andere gibt, und in der Existenz beider Seiten erkennen wir eine Ähnlichkeit zu uns selbst. Wir vermenschlichen unsere Maschinen, und nirgends ist das einfacher als bei einem Alfa.

Und eben diesen menschlichen Gedanken verlieren wir aus dem Auge, wenn wir mit dem nötigen Abstand statistischer Werkzeuge auf die Weltgesellschaften schauen, um sie zukunftstauglich zu machen. Natürlich hätte ein Einheitsbrei sowohl in Sachen Nahrung als auch in Sachen Mobilität auf dem Rechenpapier nur funktionale Vorteile. Spaß und Freude haben ihre eigenen Kosten. Wenn wir aber nicht auf Dystopien hin planen, sondern auf einen menschlichen Lebensraum, dann müssen die Kosten und Nutzen reiner Fahrfreude darin einen Platz finden. Das darf, ja: soll ruhig realistisch sein und damit etwas teurer werden, damit die Freude nachhaltig bleibe. Aber ich finde, die Diskussion muss oberhalb von „alles verbieten!“ stattfinden. Wir wollen mehr als nur überleben. Wir wollen am Karfreitag den Alfa ausführen. (cgl)