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Was war. Was wird. Von Hunden und anderen Intelligenzen.

Manches Umdenken kommt etwas spät, und mancher, der umdenkt, rennt plötzlich in eine falsche Richtung, bemängelt Hal Faber.

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Was war. Was wird. Von Hunden und anderen Intelligenzen.

Heimat und Heimkehr können schon seltsames Assoziationen auslösen, und frau kann seltsame aber auch euphorisierende Dinge darunter verstehen. (Männer sind selbstverständlich beim generischen Femininum mitgemeint.)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** "Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist." Zu diesem Meme, basierend auf einem Cartoon von Peter Steiner, der im Juli 1993 im New Yorker erschien, gibt es zahllose Geschichten und Geschichtchen. Bleiben wir zunächst bei der Hunde-Perspektive: Die klugen Vierbeiener wurden Netizens, weil vor genau 38 Jahren die erste verkäufliche Computermaus von Xerox vorgestellt wurde. Mit einer gewissen Übungszeit lernten Hunde so den Gang ins Internet, lange vor den Katzen, die Mäuse lieber jagen und nicht stupsen. Wer weiß, vielleicht hätte die Rollkugel besser zu faulen Fellkugelinnenn wie Frau Mahlzahn gepasst. Besagte Rollkugel wird im Original in wenigen Tagen feierlich in das Heinz Nixdorf Museum überführt.

*** Auch wir Journalisten wurden damals von den klugen Hunden überrascht und waren gezwungen, auf die Herausforderung zu reagieren. Bereits im November 1993 erschien in der Mailingliste "Ethics & Journalism" eine hübsche Variante der Netiquette: "On the Internet, no one knows if you're a dog or a reporter. If you are a reporter, you should announce it in your .sig file." In der Signaturdatei des E-Mail-Programmes sollten Journalisten klarstellen, dass sie als Journalisten unterwegs und nicht etwas schnüffelnde Hunde sind: Noch war das Web nicht der große Tummelplatz, sondern die Kommunikation spielte sich in Mailinglisten oder in den Newsgroups des Usenet ab. Entsprechend zärtlich war der Umgang miteinander. Zum DAU, dem dümmsten anzunehmenden Nutzer, der selbst heute noch umstands- und erklärungslos verunglimpft werden darf, gesellte sich der DAJ. Wayne interessiert's, könnte jetzt jemand fragen. Wer kann das noch lesen? Das wäre auch eine Frage zur bekannten Behauptung, dass das Internet nichts vergisst. Die Regel der Netiquette, die journalistische Arbeit in der Signaturdatei anzugeben, ist jedenfalls längst vergessen.

*** Ja, es gab mal eine Zeit, da war Journalismus etwas anderes als ein "Business", zu dem man nur die ziemlich dumme Frage nach dem "Geschäftsmodell" stellen kann. Jetzt geht es noch ein Stückchen zurück in eine Zeit, als die Bundesrepublik muffig und verstaubt war und sich in der DDR der neue Regionalnationalismus neben dem offiziellen Antifaschismus breit machte. Rechte Zeiten waren das, als vor 60 Jahren die Zeitschrift Twen gegründet wurde, basierend auf dem Geschäftsmodell der expandierenden Textilbranche. "Twen verzichtete auf jedes überirdische Glücksversprechen, war vielmehr im Gegenteil so irdisch wie möglich." Zehn Jahre später schwärmte die Twen vom Mai 1969 von den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. [i]"Eines der atemberaubensten Projekte, an dem Wissenschaftler seit einigen Jahren arbeiten, ist das Elektronenhirn, das nicht nur komplizierte Rechnungen in Blitzgeschwindigkeit lösen, sondern auch selbständig Entscheidungen fällen, auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren und andere Denkmaschinen – wen nicht gar Menschen steuern soll." Schaudernd wird von einem superintelligenten, künstlich gezeugten Übermenschen erzählt, der ab dem Jahr 2000 existieren soll. "Dessen Willen sich elektronisch steuern lässt, ohne dass der 'Störsender Gewissen' dazwischenfunkt." Das war schon vorausschauend, rund 20 Jahre vor dem autonomen Fahren auf deutschen Autobanhnen.

*** Nun, ganz soweit sind wir anno 2019 noch nicht. In dieser Woche hat eine Gruppe von 23 Wissenschaftlern in der Zeitschrift Nature einen Aufruf veröffentlicht, bei der Untersuchung von "maschinellem Verhalten" die Zusammenarbeit aller möglichen Wissenschaftsdisziplinen zu ermöglichen, damit die neue Disziplin der "maschinellen Verhaltensforschung" entstehen kann. Bemängelt wird, dass über KI nur in der KI-Forschung diskutiert wird, wo sich Forscher vorrangig um die Funktionstüchtigkeit ihrer KI kümmern. Der Aufruf steckt hinter einer Paywall, eine deutsche Zusammenfassung könnte bei der Süddeutschen gelesen werden, die Grundlagen zur Forschung über die Moral Machine sind beim MIT zu finden und die gesamte Vorgeschichte des Trolley-Problems natürlich hier bei Heise. Die schönste Antwort auf alle Fragen hat übrigens der Wissenschaftler Iyad Rahwan parat, der demnächst den Forschungsbereich "Mensch und Maschine" am Max-Planck-Institut in Berlin leiten wird: ""Die nächste Herausforderung wird die Politik sein. Denn künstliche Intelligenz ist Politik." Tja, wer erinnert sich da nicht an einen Wirtschaftsminister Altmaier, der von einem gar mächtigen Konzern "Airbus der KI" schwärmte oder an eine Forschungsministerin, die einen "Kosmos der Möglichkeiten" beim KI-Einsatz entdecken will?

*** Nach der furchtbaren Serie von Bombenanschlägen ist die Nutzung sozialer Medien in Sri Lanka unterbunden worden. Dies soll angeblich helfen, Fake News zu stoppen. Als Nebenprodukt werden Informationen in den jeweiligen Communities abgeklemmt, sich vor der anstehenden Welle von Hausdurchsuchungen zu warnen, die Premierminister Ranil Wickremesinghe angekündigt hat. Haus für Haus soll untersucht und "gesäubert" werden. Eine erste Hausdurchsuchung dieser Art endete mit neuen Toten. Inmitten der endlosen Spekulationen über den Einfluss des islamischen Staates wird gerne vergessen, dass bis zum Jahre 2009 ein Bürgerkrieg auf Sri Lanka tobte, dem über 40.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Der damalige Kriegschef Gotabaya Rajapaksa will sich im Dezember zur Wahl stellen und gab bekannt, den Terror zu 100 Prozent auslöschen zu wollen. So kriselt ein Land, das zum Kleinod der neuen Seidenstraße werden soll, die China auch im Meer verlegt. Diese Straßen werden übrigens mit dem Internet der Dinge intelligent ausgebaut.

*** Es gibt andere Nachrichten aus der Welt der Schifffahrt, eben die von den waghalsigen Versuchen, das Mittelmeer zu überqueren. Ein Videoexperiment ist veröffentlicht worden, das uns die die Not der anderen verdeutlichen soll, die an den "Küsten des Lichts" einfach nur auf die andere Küstenseite wollen. Das Video soll das Mitgefühl im Menschen anregen, jenen elementaren Trieb, der gemäß Steven Pinker die Menschen seit der Aufklärung antreibt, die Lebensbedingungen aller Menschen zu verbessern. Bis das funktioniert mit dem Mitgefühl hat die Verwaltung Vorrang: Nach all den Zahlen über syrische Flüchtlinge hat die Ankündigung von Bashir al Assad, auf "Todeslisten" stehende Heimkehrer umstandlos zu erschießen, für ein Umdenken gesorgt.

*** Ja, ja, Heimat ist ein seltsames Ding, und nicht nur Leute wie Boris Palmer scheinen da einiges misszuverstehen. Heimkehr ist zudem ein wirklich seltsames Wort. Aber kehren wir doch selbst einmal heim. Denn Beyoncés Homecoming ist neben der euphorisch-überwältigenden Band mit Brass-Section und Drum-Line, neben den massen-individuellen Tänzer*innen, neben der Sängerin Beyoncé und neben der gesamten Performance auch und vor allem ein Dokument, was die Chancen und fortschrittlichen Elemente von Identitätspolitik sind, aber auch deren Probleme und reaktionären Nebeneffekte. Homecoming straft zudem all die besserwisserischen Soziologen und neurechten Intellektuellen Lügen, die Identitätspolitik für den Aufstieg des Wutbürger-Populismus verantwortlich machen. Und die auf die seltsame Idee kommen, eine Art "Emanzipationspause" zu verlangen, auf dass sich die Mehrheit an die ach so ungewohnte Idee gewöhnen könne, dass Minderheiten – oder auch Minderheiten, die eigentlich gar keine sind, sondern einfach seit Jahrhunderten in eine untergeordnete Rolle gezwungen – gleiche Rechte haben könnten. Genau, und solange die angebliche Mehrheit sich etwas unwohl fühlt, sind halt sexistische Ausfälle und rassistische Gewalt normal. Es ist beileibe nicht nur Beyoncé, die so etwas gar nicht normal findet.

Im Internet weiß kaum jemand, dass du ein Journalist bist. Signaturdateien sind so was von vorgestern und wenige Kolleg*inenen schreiben das in ihr Twitter-Profil. Nicht jede oder jeder hält das Gesülze um irgendwelche Komiker*innen oder Influencer*innen aus. Aber wer es mit dem J-Wort weiß, findet immer einen Grund zum Meckern. Das macht unsere Arbeit als vierte Geringschätzung so interessant, wenn selbst bei notwendigen Sachstandsmeldungen die Kritik erklingt, dass eine sachliche Berichterstattung fehlt. Vom Gatekeeper zum Scapegoat ist ja auch eine hübsche Karriere. Zum anstehenden Tag der Pressefreiheit ist die Rangliste von Reporter ohne Grenzen veröffentlicht worden, mit einem um zwei Plätze verbesserten Arbeitsplatzumfeld für deutsche Journalisten. Was freilich daher rührt, dass Osterreich und Ungarn abgesackt sind. 22 Mal sind Journalisten in Deutschland bei ihrer Arbeit tätlich angegriffen worden, eine alles andere als strahlende Bilanz.

Zur anstehenden großen Netzsause namens re:publica mit der Eröffnungs-Keynote von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (tl, dr) muss man sich glatt die Frage stellen: Wie geht das eigentlich mit dieser Utopie der redaktionellen Gesellschaft? "Auf dem Weg zur redaktionellen Gesellschaft gilt es den Einzelnen zu befähigen, Informationen von Pseudoinformationen, Fakten von Gerüchten zu unterscheiden, letztlich also sein eigener journalistischer Gatekeeper zu werden. Die Grundlage dafür ist schon in der Schule zu legen." Na dann. Bleibt nur noch der Hinweis auf das ganz umsonstige Netzfest, bei dem Hunde diesmal leider nicht erlaubt sind. Sie müssen zu Hause bleiben. Und Frau Mahlzahn auch. (jk)