Luxuswerkzeug

Test: VW Touareg 3.0 TDI

Ein 286 PS starker Diesel-SUV von VW in der vom Tiguan gewohnten Formensprache, dessen Preis sich mühelos in die 100.000-Euro-Richtung treiben lässt. Dafür kann der Kunde mehr erwarten als in der Mittelklasse üblich ist. Erfüllt er gehobene Ansprüche?

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VW Touareg V6 TDI 30 Bilder

(Bild: Pillau)

Lesezeit: 21 Min.
Von
  • Christian Lorenz
Inhaltsverzeichnis

Ich zitiere gern und oft einen Spruch, den ich vor Urzeiten mal in der Auto Motor und Sport gelesen habe. Er stammt vom Fotografen Jim Rakete, den ich nicht nur künstlerisch verehre, sondern mit dem ich mich auch in automobiler Blutsbrüderschaft wähne. Wir haben beide das gleiche Traumauto und auf die Frage danach antwortete er: „Es gibt Autos und es gibt Werkzeuge. Die Giulia ist ein Auto, mein Mercedes Kombi ist ein Werkzeug.“ Was will man da noch hinzufügen? Außer vielleicht für die weniger Autophilen unter uns, dass hier nicht die aktuelle Alfa Giulia gemeint ist. Obwohl meines Erachtens auch die Neuinterpretation zu den ganz, ganz wenigen Autos gehört, die heutzutage noch gebaut werden. Nein, gemeint ist natürlich die kantige Charakterlimo der Serie 105, die die 60er und 70er sinnlicher machte.

Der Touareg ist das große SUV von VW und für meine Augen ziemlich wuchtig. Obwohl er mit 4,87 m Außenlänge vielmehr ein besonders zierlicher Vertreter der Kategorie Oberklasse-SUV ist. Die noch lautstärker als „Premium“ propagierten, süddeutschen Konkurrenten sind alle länger und breiter. Der technisch eng verwandte, aber nochmals ausladendere Audi Q7 aus demselben Konzern und der GLE von Mercedes überragen ihn um ganze 18 cm. Während der BMW X5 mit 4,92 m noch im gleichen Größenrahmen wie der Touareg verbleibt.

Wirkt dicker als er ist

Beim ersten Eindruck auf dem Parkplatz erschrickt man trotzdem. Der Touareg kaschiert sorgfältig seine fehlende Adiposität. Allein mit seinem Kühlergrill hätte man vermutlich noch vor 54 Jahren die letzte Jahresproduktion des damals als überladen gescholtenen Chromornats der dicken Mercedes-Flosse 300 SE (W112) bestreiten können. Aber damit ist der Touareg ja nicht allein, weil die chinesischen und russischen Märkte eine Designsprache fordern, die zumindest mein ästhetisches Empfinden grob verletzen. Aber ich kann Unternehmen schlecht dafür kritisieren, sich an der zahlenden Kundschaft zu orientieren.

Komischerweise kommt ein vergleichsweise eleganter Gegenentwurf zu chinesisch orientierten Brachialformen von der, ökonomisch gesehen, chinesischen Marke Volvo. Der XC90 ist acht Zentimeter länger, drei Zentimeter breiter und sechs Zentimeter höher als der Touareg, wirkt aber im Vergleich weit weniger massig. VW hat nicht erst in jüngster Zeit ein paar ästhetische Unsicherheiten, wenn es gilt, automobilen Luxus jenseits eines Golf Highline stilistisch sauber darzustellen. Die Marke war vor dem Betrugsskandal für oberflächlich hochwertige Werkzeuge bekannt, die man kauft, weil sie wenig bis keinen Ärger machen - zumindest glaubte das ein relevanter Teil der Kundschaft, und von diesem Glauben lebt Volkswagen bis heute wahrlich nicht schlecht.

Bling-bling-Stufe

Innen gibt sich der Touareg glücklicherweise nüchterner als außen. Die chromfarbenen Zierteile sind zwar auch eher mit dem Kübel reingegossen als dezent platziert. Aber wer Polo, Golf, Passat etc. kennt, findet hier weder positiv noch negativ große Überraschungen. Allerdings erwartet man sich auf diesem preislichen Niveau (dieses dicke Ende kommt zum Schluss) ein wenig mehr optische, haptische und emotionale Raffinesse als in einem Riesenpolo mit höchster Bling-bling-Stufe. Zumal auch die verwendeten Materialien nicht hochwertiger sind als in einem Passat und kontinuierlich margenoptimierter wirken, je weiter man den Blick aus dem direkten Sichtfeld heraus bewegt.

Eine Frechheit ist das Handschuhfach, dessen riesiger, offensichtlich und spürbar billiger Deckel eine zwar große Öffnung freigibt, die aber Probleme hat, die Bedienungsanleitung zu fassen. Die ist nämlich so dick wie ein handelsübliches Taschenbuch. So viel Höhe bleibt im 1,72 m hohen Touareg aber nicht mehr im Handschuhfach. Erst wenn man die Bedienungsanleitung verkantet, geht es gerade so.

Faktisch hat der Touareg also ein riesiges, billig aussehendes Handschuhfach, das komplett unbrauchbar ist. Nicht mal eine Parkscheibe kann man hineinlegen. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum im Testwagen, anders als sonst bei der VW-Presseabteilung üblich, keine Parkscheibe beigelegt war. Den Platz hat man ja schon für die Bedienungsanleitung gebraucht. Der Grundpreis unseres Testwagens beträgt gute 62.000 Euro. So etwas ist schon bei einem Dacia Sandero (Test) für unter 10.000 Euro nicht akzeptabel.

Mit der elektrischen Sitz- und Lenkradverstellung des reich ausgestatteten Testwagens findet man schnell eine bequeme und ergonomische Arbeitshaltung. Ein Lkw-ähnliches Burggefühl kommt auf, das schon vor dem ersten Meter Fahrt vermittelt, in einem großen, schweren Fahrzeug zu sitzen. Hier ist es wieder, das positive Werkzeug-Gefühl, ob du 3000 Kilometer auf Expedition gehst oder einen Kilometer zum Bäcker feinstaubst.