Weltraumsimulation Star Citizen: Traum und Wirklichkeit

Dem größten Crowd-Funding-Projekt der Geschichte wird Misswirtschaft, Nepotismus und Verschwendung vorgeworfen. Was ist dran an der Kritik? Eine Analyse.

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Star Citizen

Star Citizen auf der Gamescom 2016: Drei Jahre später kaum nennenswerte Fortschritte gemacht

(Bild: Fabian A. Scherschel)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis
Eine Analyse von Fabian A. Scherschel

Fabian A. Scherschel schrieb von 2012 bis 2018 als Redakteur täglich für heise online und c't, zuerst in London auf Englisch, später auf Deutsch aus Hannover. Seit 2019 berichtet er als freier Autor und unabhängiger Podcaster über IT-Sicherheit, Betriebssysteme, Open-Source-Software und Videospiele.

Die Weltraumsimulation Star Citizen ist die erfolgreichste Crowd-Funding-Kampagne der Geschichte, wenn man nach dem eingesammelten Geld geht. Bis heute haben die Macher bei Cloud Imperium Games nach eigenen Angaben knapp 225 Millionen US-Dollar von privaten Unterstützern für die Entwicklung des Videospiels eingesammelt. Hinzu kommen Bankkredite und Investitionsspritzen von Großinvestoren in unbekannter Höhe – ein Investor hat mindestens 40 Millionen Dollar zugeschossen. Das ambitionierte Projekt befindet sich bereits im achten Entwicklungsjahr, wenn man Chefentwickler Chris Roberts beim Wort nimmt und das Jahr mit einrechnet, dass er nach eigenen Angaben vor der Kickstarter-Kampagne mit der Entwicklung von Design-Prototypen verbrachte.

Acht Jahre und 225 Millionen Dollar für ein Spiel im Alpha-Status, das, wenn man der Einschätzung aller einschlägigen Spiele-Magazine folgt, nach wie vor weit davon entfernt ist, fertig zu sein. Kein Wunder, dass der Unmut über Chris Roberts immer lauter wird und zuletzt das viel zitierte US-Business-Magazin Forbes erreichte. Was ist dran am Exklusiv-Bericht der Forbes-Journalisten Matt Perez und Nathan Vardi, die dem Star-Citizen-Projekt und vor allem auch Chris Roberts persönlich die Verschwendung des Crowd-Funding-Geldes vorwerfen?

Eigentlich dürfte die Entwicklungsgeschichte von Star Citizen niemanden überraschen, der sich etwas mit der Geschichte von Weltraumsimulationen auskennt. Denn der Name von Chefentwickler Chris Roberts steht in der Gaming-Branche vor allem für zwei Dinge: großartige Visionen und Probleme bei deren Umsetzung. Der in Kalifornien gebürtige Roberts wuchs im Norden Englands auf und wurde Anfang der 1990er Jahre schlagartig berühmt, als er, zurück in seinem Geburtsland, bei Richard Garriotts Entwicklerschmiede Origin Systems die Wing-Commander-Reihe aus der Taufe hob. Wing Commander machte Chris Roberts schlagartig zu einem Gott im Genre der Weltraumsimulation. Im Jahr 1996 verließ er schließlich Origin und gründete zusammen mit seinem Bruder Erin Roberts sein eigenes Studio namens Digital Anvil. Und spätestens hier nahm eine Geschichte ihren Lauf, die sich auch gerade wieder bei Star Citizen zu wiederholen scheint: Roberts Vision für das ultimative Weltraumspiel wurde einem Projekt nach dem anderen zum Verhängnis.

Digital Anvil hatte einen Publishing-Deal mit Microsoft abgeschlossen und arbeitete um die Jahrtausendwende an einem Spiel namens Freelancer. Dieses Projekt war so etwas wie das Proto-Star-Citizen: Roberts hatte es sich in den Kopf gesetzt, eine Weltraumsimulation zu entwickeln, in dem der Spieler sich komplett frei bewegen und haufenweise eigene Entscheidungen treffen konnte. Ex-Kollegen von Roberts aus dieser Zeit haben immer wieder berichtet, wie detailliert ihr damaliger Chef selbst die kleinsten Entscheidungen der am Projekt beteiligten Coder und Designer micro-managen wollte. Der Release-Termin des Spiels wurde immer weiter in die Zukunft verschoben, da Roberts es nicht lassen konnte, bereits fertige Spiele-Elemente immer wieder umzuschmeißen, weil sie, so berichten Ex-Mitarbeiter, nicht in die perfekte Simulation passten, die Roberts vorschwebte.

Als Microsoft, unzufrieden mit den immer krasser ausartenden Verspätungen des Freelance-Projekts, schließlich Digital Anvil aufkaufte, verließ Roberts die Firma. Freelancer wurde dann 2003 veröffentlicht – zwei Jahre nach Roberts Firmen-Austritt. Insidern aus der damaligen Zeit zufolge wurde das Spiel nur deswegen fertig, weil Microsoft nach der Übernahme des Studios Roberts als Executive Producer des Projektes absetzte und ihn aus seiner eigenen Firma herauskomplimentierte.

Mit Star Citizen wollte sich Roberts nach eigenen Angaben vom Druck der Publisher befreien, die ihn bisher, so sagt er, immer davon abgehalten hätten, seine Version eines perfekten Weltraumspiels zu verwirklichen. Aber eben jene Publisher waren es auch, die Roberts bisher dazu gezwungen hatten, irgendwann ein mehr oder weniger fertiges Produkt abzuliefern. Viele Beobachter werfen Chris Roberts mittlerweile vor, mit seiner anhaltenden Crowd-Funding-Kampagne eine zeitlich unbegrenzte Entwicklung dieses perfekten Spiels seiner Träume zu finanzieren, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass die Backer seiner Kampagne irgendwann ein fertiges Spiel erwarten. Und in der Tat ist nach acht Jahren Entwicklungszeit von einem fertigen Spiel bisher nichts zu sehen.

Schwerer wirken allerdings Vorwürfe, die über die letzten Jahre im Umfeld des Projektes immer mal laut wurden und die nun auch die Forbes-Journalisten aufgegriffen haben: Roberts und sein Führungsteam bei Cloud Imperium Games sollen die Crowd-Funding-Gelder geradezu verschwendet und für sinnlose Ausgaben verpulvert haben, die wenig mit der eigentlichen Entwicklung des Spiels zu tun haben.