Post aus Japan: Wenn sich der Boden verflüssigt

Die Verwandlung von Erde in Schlamm ist eine gefährliche Begleiterscheinung von Erdbeben. In Nippon wurde nun eine Technik entwickelt, vorhandene Einfamilienhaussiedlungen nachträglich zu sichern.

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Post aus Japan: Wenn sich der Boden verflüssigt

(Bild: Kiyoshi Yamashita)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Die Japaner erleben die Plattentektonik live. Gerade haben die Behörden die Ausbruchwarnung für einen bekannten Vulkan im Tokioter Naherholungsort Hakone 80 Kilometer südlich der Hauptstadt auf die zweite Stufe erhöht. Touristen dürfen sich daher nicht mehr den Schwefelwolken in einem Krater nähern. Die Seilbahn wurde sicherheitshalber eingestellt. Denn kleinere Erschütterungen schürten die Sorge vor einem Ausbruch dieses kleineren von über 100 aktiven Vulkanen in den Bergen im Land.

Doch um diese seltene geologische Nebenwirkung des Lebens auf Plattengrenzen kümmern sich Japaner generell wenig. Bewusster werden die täglichen Erdbeben und ihre Folgen wahrgenommen und durch die Entwicklung neuer Schutztechniken gemildert. Das jüngste Beispiel sind die ersten Maßnahmen gegen gefährliche Bodenverflüssigung, die einer Tokioter Vorstadt nachträglich eingebracht wurden. Die Technik könnte weltweit Verwendung finden.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Dieser nachrüstbare Ansatz ist besonders für bereits bestehende Einfamilienhäuser interessant, denn bei einem Neubau lässt sich recht einfach ein Schutz gegen Bodenverflüssigung integrieren. Eigenheimbesitzer sahen sich bis jetzt mit der Problematik konfrontiert, dass ihre Häuser in Japans Städten meist nur etwas mehr als einen Meter voneinander entfernt stehen. Das ist zu wenig, um Anlagen zu positionieren, die festigenden Beton in den Untergrund spritzen.

Für das neue Verfahren wurden daher zunächst die Komponenten soweit verkleinert, dass sie in den Lücken, die im Testfall im Wohngebiet Urayasu an der engsten Stelle sogar nur 80 Zentimeter breit waren, ihren Dienst verrichten konnten. So konnten in diesem Fall Betonmauern zwischen den kleinen Grundstücken in das Erdreich gespritzt werden, um die Erde im Untergrund in kleineren Kästchen einzuschließen. Die Mauern mussten unter Gasleitungen und Kanälen eingebracht werden, sie reichten neun Meter tief bis zu einer nichtwasserführenden Schicht. Dieses Verfahren soll bei Erdbeben die Erdbewegung reduzieren und so verhindern, dass in feuchten, lockeren Sedimenten der Zusammenhalt der Sandkörner aufgeweicht und dann der Porenwasserüberdruck vermeintlich festen Boden in flüssigen Schlamm verwandelt.

Der Baukonzern Maeda und das Ingenieurskonzern Takenaka hatten den Vorort Urayasu nicht ohne Bedacht als Testgebiet gewählt. Große Teile Urayasus, dem Standort der Tokioter Disneylands, wurden auf künstlich aufgeschüttetem Küstengebiet errichtet. Bei dem verheerenden Beben 2011, das den Bewohnern noch gut im Gedächtnis ist, verflüssigte sich der Boden in Urayasu großflächig. Straßen brachen auf und wurden zu Flößen, kleine Apartmentgebäude schwankten hin und her wie Schiffchen, Einfamilienhäuser und Autos sackten ab.

Für Japan war das Erdbeben ein Weckruf. Seither wird der Erdbebenschutz an vielen Fronten verstärkt, auch bei der Bodenverflüssigung. Beispielsweise stellten vorigen Herbst 366 Lokalregierungen neue Bodenverflüssigungskarten fertig, um den Anwohnern zu erklären, wie gefährdet ihre Wohnorte und Häuser sind.

Zusammen mit der Erfassung von erdrutsch- und hochwassergefährdeten Gebieten stellen Karten wie diese eine Art Desaster-Almanach dar, der immer mehr Häuslebauern und -käufern als unentbehrlicher Leitfaden für ihre Kauf- und Bauentscheidungen dient. Denn die Festigkeit des Untergrunds kann den Unterschied zwischen einem massiven Schreck und zeitweiser Obdachlosigkeit ausmachen, wenn das Haus zusammenfällt oder plötzlich schief steht, weil der Boden wegsackt.

Die neue Technik hat nun ihren Reifetest bestanden. Die nachträgliche Absicherung bestehender Bebauung kann damit ein großes Geschäft für Japans Betonmixer werden.

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