Viel Kraft, viel krank?

Arbeiter und Roboter verschmelzen, indem Exoskelette die Arbeitswelt erobern. Menschen können so gesünder ihren Job ausüben, sagen die Befürworter. Doch Biomechaniker haben ihre Zweifel.

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Cray X: Das Start-up German Bionic will damit den unteren Rücken beim Heben schwerer Lasten schonen, etwa in der Pflege oder der Logistik. Ein Motor unterstützt bei Gewichten bis zu 20 Kilogramm, der Akku soll acht Stunden halten. 2018 ging das Exoskelett in Serie.

(Bild: German Bionic)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Susanne Donner

Andrej Hodál zieht die geöffnete Heckklappe der silbernen Autokarosserie etwas zu sich herunter. Er führt ein schwarzes Doppelstrangkabel durch passgenaue Bohrungen im Metall, die Stromzufuhr für die spätere Heckscheibenheizung. Dann lässt Hodál die Heckklappe los, holt das nächste Kabel aus einer blauen Plastikbox. Pausen zwischen den Arbeitsschritten gibt es nicht, schließlich bringt das Fließband jede Minute ein neues Fahrzeug heran. Und wieder Arme über den Kopf. Heckklappe herunterziehen. Kabel einfädeln.

Zwei Stunden macht Hodál das so, ehe er die Tätigkeit in einer Fertigungshalle des VW-Werks in Bratislava mit einem anderen Kollegen tauscht. Am Ende schmerzten dem Mann die Schultern, der Rücken tat weh.
Doch nun gibt es Abhilfe: Hodál kann seit 2018 bei der Arbeit ein Exoskelett tragen, eine schwarze Montur, die an einen Rucksack erinnert. Die Rückenpartie enthält zwei Federn, die ihm helfen, seine Arme über dem Kopf zu halten, indem sie jene Kraft aufbringen, die sonst seine Muskeln verrichten. "Ich bin damit nach der Schicht nicht so müde", sagt Hodál, "die Schultern schmerzen nicht so sehr, und es ist leichter, den Rücken in einer guten Position zu halten. Aber auf die Toilette gehen kann man damit nicht. Es ist zu ausladend", erklärt er und lacht. Dann entschuldigt er sich, das nächste Auto kommt heran.

Volkswagen verwendet in seinem Werk in Bratislava derzeit drei verschiedene Exoskelette: Paexo für die Überkopfarbeiten stammt vom Medizintechnikhersteller Ottobock aus dem niedersächsischen Duderstadt. Ein weiteres namens Noonee tragen Mitarbeiter bei Tätigkeiten in der Hocke, etwa wenn sie das Cockpit montieren. Das System hängt am Rücken der Beschäftigten und funktioniert wie ein tragbarer Stuhl. Und dann testen Mitarbeiter, die schwer heben müssen, einen tragbaren Roboter namens Laevo für den unteren Rücken.

Auch nahezu alle anderen Autobauer, ob Audi, Ford oder BMW, erproben "Wearable Robotics". Logistikunternehmen wie die Deutsche Post oder Pflegeeinrichtungen experimentieren damit. Start-ups wie German Bionic brachten vergangenes Jahr erste Modelle in Serie, Ottobock gründete sogar ein neues Geschäftsfeld, Ottobock Industrials.

Ursprünglich entspringen Exoskelette der Medizintechnikbranche. Sie sollen Gelähmte aus dem Rollstuhl auf die Beine bringen. Bis heute sind diese Systeme jedoch nicht über Prototypen hinausgekommen. Unterstützungssysteme für gesunde Arbeiter hingegen sind viel einfacher zu bauen. Und der Gedanke hinter den tragbaren Robotern faszinierte die Industrie rasch: Was wäre, könnten wir Arbeitern körperliche Fähigkeiten geben, die sie sonst nicht hätten?

(rot)