Gebt die Erste Klasse frei!

Die spontane Nutzung der Bahn wird immer schwieriger. Das bremst sie im Wettbewerb mit dem Auto aus.

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Flüge verteuern, Mehrwertsteuer auf Zugtickets senken, mehr Geld ins Schienennetz investieren, stillgelegte Strecken reaktivieren – alles richtige Maßnahmen, um die Bahn konkurrenzfähiger zu machen, wie mein Kollege Wolfgang Stieler argumentiert. Doch einen Aspekt würde ich gerne noch ergänzen: die Möglichkeit zur spontanen Nutzung.

Gerade diese macht Autos so verlockend: Man kann losfahren, wann immer man möchte, ohne irgendetwas zu buchen oder Fahrpläne zu konsultieren. Im Prinzip geht das auch bei der Bahn – zumindest auf viel frequentierten Strecken und mit Tickets ohne Zugbindung. Wenn ich zum Beispiel von Berlin nach Hannover fahre, gehe ich meist einfach zum Bahnhof und nehme den nächsten Zug. Allzulange muss ich selten warten. Sich nicht vorher auf einen bestimmten Zug festlegen zu müssen, ist für mich ein entscheidender Komfortzuwachs. Vielleicht dauert ein Termin ja nicht so lange wie geplant, oder ich habe spontan noch Lust, ins Museum zu gehen – wer weiß so etwas vorher so genau?

Doch diese Möglichkeit scheint zu erodieren. Ich hatte jetzt mehrmals den Fall, dass ich an einem Samstag über den größten Teil des Tages hinweg kein einziges Zweite-Klasse-Ticket für eine bestimmte Strecke buchen konnte. Alles komplett ausgebucht. Das zeigt, wie sehr die Bahn schon an ihre Grenzen gekommen ist.

Es ist nachvollziehbar, dass sie die Fahrgäste durch unterschiedliche Ticketpreise je nach Auslastung kanalisieren möchte. Und es ist auch in Ordnung, dass Tickets ohne Zugbindung etwas teurer sind. Das ist dann eben Luxus, den man sich gönnt oder eben nicht. Aber ich hoffe doch sehr, dass die Bahn es künftig auf die Reihe bekommt, genügend Sitzplätze anzubieten, dass man überhaupt an jedem beliebigen Tag spontan in jeder Richtung reisen kann. Zur Not soll sie dann halt die Erste-Klasse-Abteile freigeben.

Und ich hoffe, dass die Politik die Möglichkeit spontanen Reisens als Wert erkennt und verteidigt. Danach sieht es im Moment nicht immer aus: Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" plant die EU-Kommission, die Passagiere von Fernbussen, Zügen und Schiffen genauso zu sammeln wie Flugreisende. Abgesehen davon, dass dies ein weiterer Übergriff einer überwachungsverliebten Law-and-Order-Politik ohne nachweisbaren Nutzen wäre: die Bahn würde im Wettbewerb mit dem Auto weiter ausgebremst. Genau das, was der Verkehr derzeit überhaupt nicht braucht.

(grh)