Kolumne: Innovation? Innovation! Miteinander reden im Babylon der Software-Entwicklung

Wie bringt man Teams, die extrem unterschiedlich ticken, dazu, an einem Strang zu ziehen? Kolumnist Rolf Scheuch berichtet von einem babylonischen Projekt.

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Kolumne: Innovation? Innovation! Miteinander reden im Babylon der Software-Entwicklung
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Rolf Scheuch
Inhaltsverzeichnis

Die Deutsche Bank meinte unlängst: "Nichts verändert die Kunde-Bank-Beziehung so grundlegend wie die Digitalisierung.“ Dieses Zitat, das fast wie eine Drohung klingt, zeigt, wie herausfordernd die Digitalisierung für Banken und somit auch generell für Finanzdienstleister ist. Vor allem schwingt darin aber der Wunsch mit, so einfach wie möglich an die personenbezogenen Daten der Kunden zu kommen. Und dafür wurden bekanntlich schon die dubiosesten Wege eingeschlagen. Nun hat eine Online-Bank eine Lösung gefunden, die dem Kunden eine Menge Spaß verspricht: Social Data Collection via Gamification.

Auch wenn sich Datenschützer jetzt die Haare raufen – die Idee beruht auf einem bewährten Prinzip: dem Tauschhandel "Daten gegen Mehrwert“. Der Kunde gibt freiwillig Informationen über sich preis und bekommt im Gegenzug ein cooles Spielerlebnis geboten. Die Erfolgsrechnung dafür ist einfach: Je lohnender das Erlebnis, desto freizügiger der Nutzer.

Eine Kolumne von Rolf Scheuch

Seit 1982 ist Rolf Scheuch (Mitbegründer von Opitz Consulting) in der IT tätig. Heute arbeitet er als Management-Coach, Referent und Autor. Schwerpunkt ist die veränderte Rolle der IT durch die Digitalisierung mit den spezifischen Themen Agilität, Rightsourcing und Innovationsfähigkeit der IT. Das Motto des Mathematikers ist "When in doubt simplify" und damit bewertet er Pragmatismus immer höher als theoretische Konstrukte.

Um ihren Nutzern positive Erlebnisse zu ermöglichen, ging die Bank aufs Ganze und beauftragte ein übergreifendes Team von UX-Designern, Softwareentwicklern und Produktmanagern mit der Spieleentwicklung. Ich habe mich sehr gefreut, dieses Projekt hautnah miterleben zu dürfen. Spannend war in diesem Projekt für mich vor allem die Frage: Wie bringt man Teams, die extrem unterschiedlich ticken, dazu, an einem Strang zu ziehen und als übergeordnetes Team eine effiziente hochqualitative Arbeit abzuliefern – eine babylonische Herausforderung!

Wir starteten mit drei jeweils zweitägigen Design Thinking Workshops, schufen darin erste Mockups für das System und entwickelten daraufhin einen Piloten, oder neudeutsch: ein Minimum Viable Product (MVP), um einige allgemeingültige Hypothesen mit einer ausgewählten Anwendergruppe zu überprüfen, wie zum Beispiel:

  • Reicht der gewählte Gamification-Ansatz als Anreiz, um ein Social Data Collecting zu ermöglichen? Die User-Akzeptanz war also für uns eine wichtige Messgröße.
  • Ist die Steuerung intuitiv? Hierzu haben wir testweise alle Hilfefunktionen abgeschaltet.

Generell nutzten wir Lean-Start-up-Ansätze für die Produktentwicklung. Da viele der verwendeten Technologien für das Unternehmen neu waren, wurde eine externe Digital-Einheit einbezogen. Die brachte tatsächlich frischen Wind in die Produktgestaltung und -entwicklung, aber gleichzeitig zeigten sich die Unterschiede in der Unternehmenskultur beim agilen Entwicklungsprozess.

Der Technologie-Stack umfasste Angular mit TypeScript, Semantic UI und Bootstrap, NVD3 bzw. D3.js und einen klassischen Webpack-Dev-Server in der Cloud-Umgebung von AWS. Der Fokus des MVP lag auf einer positiven User Experience, Usability-Aspekten mit funktionalem visuellem Design und einem transparenten Task Flow der Anwendung sowie auf den angesprochenen Gamification-Aspekten. Die Verständlichkeit der Anwendung sowie spielerische Aspekte bei der Nutzung waren entscheidende Erfolgskriterien.

Das Team wurde mit zwei UX-Designern einer Medienagentur verstärkt. Wir erhielten die UX-Designs über die Prototyping-Plattform Invision, einem Service, mit dem wir kollaborativ an Designs und Prototypen arbeiten konnten. Anschließend implementierten wir den Code auf Basis der Designvorlagen. Angular verfolgt ein modulares System, sodass wir uns bei der Arbeit mit den UX-Designern kaum in die Quere kamen. Allerdings gelangten wir mit dem Visualisierungsframework NVD3 an unsere Grenzen, als die UX-Designer spezielle Anforderungen an das Aussehen und die Funktionalität des Graphen anmeldeten und unter anderem auf eine Drag-and-drop-Funktion der Szenarien auf den Graphen bestanden. Kein Problem! Wir stiegen kurzerhand auf natives D3.js um.

Bei der Entwicklermannschaft war eine hohe Ambiguitätstoleranz gefragt. Verschiedene Sichtweisen und Mehrdeutigkeiten mussten zunächst zu einem gemeinsamen Verständnis geführt werden. Umso wichtiger war es, dass beim Kick-off alle Beteiligten zusammenkamen. Hier konnten wir Business-Anforderungen, Design und technische Machbarkeit ins Gleichgewicht bringen. Extravagante Ideen der Designer stießen auf bestimmte fachliche Rahmenbedingungen und beschränkte zeitliche und technische Vorgaben.

Diese Erkenntnis und das erfolgreiche Produkt als gemeinsames Ziel schweißten das interdisziplinäre Team am Ende zusammen. So gingen wir alle optimistisch, aber auch mit einem großen Bewusstsein für die Herausforderungen in die Implementierungsphase

Auch dort stellte beispielsweise der Einfallsreichtum der Designer unser Entwicklerteam immer wieder vor große Herausforderungen. Von Tag zu Tag stieg die Anzahl an Änderungswünschen und immer wieder wurde eine Re-Priorisierung von bereits vereinbarten Features vorgenommen. Besonders in den letzten Tagen vor der Deadline brach es über das Team herein. Durch eine neue Priorisierung ergab sich dann auch die schon erwähnte Notwendigkeit, das Visualisierungsframework NVD3 gegen natives D3.js auszutauschen.

Dies zu erkennen war nur durch die offene Kommunikation im Team und den gemeinsamen Willen, das Projekt zum Erfolg zu führen, möglich.

Aus dem Projekt nehme ich einige verallgemeinerbare Herausforderungen mit:

  • Der Fachbereich hat einen hohen Druck und will so viele Features wie möglich im MVP unterbringen, was dem MVP-Ansatz eigentlich komplett widerspricht.
  • In einem ähnlichen Spannungsfeld agiert der Product Owner, wenn er die fachlichen Vorstellungen des Fachbereichs mit dem Budget in Einklang bringen muss.
  • Der schon mehrfach erwähnte Einfallsreichtum der UX-Designer steht oftmals der technologischen Machbarkeit seitens der Entwickler entgegen.
  • Das Projektmanagement befindet sich nicht selten in einer Zwickmühle, wenn es darum geht das Gleichgewicht an implementierten und abgelehnten Feature Requests zu halten, ohne die festen Zeittermine zu verletzen.

Und zwei Dinge habe ich gelernt:

Erstens: Wir hätten das Projekt sicher noch wesentlich schneller auf die Erfolgsspur gebracht, wenn wir von Anfang an mit wesentlich kürzeren iterativen Zyklen, zum Beispiel mit klaren "Inspect & Adapt“-Absprachen für eine permanente Verbesserung gesorgt hätten und zu Anfang die Nutzerakzeptanz noch stärker validiert hätten zum Beispiel mit Low-Fidelity-Prototyping. So hätten wir einige Funktionalität beziehungsweise Gamification-Ansätze noch schneller in die richtige Richtung entwickelt, für die wir so mehrere Schleifen fahren mussten.

Zweitens: Bei aller Technologie und Methodik waren es meist die unterschiedlichen Sichtweisen der beteiligten Menschen, die sich gegenseitig "ausbremsten“ und sich mit ihren gegensätzlichen Anforderungen im Wege standen. Gleichzeitig sorgt gerade diese Diversität für eine hohe Qualität und Sicherheit des Software-Produkts.

Fazit: Technik ist Silber, Reden ist Gold! Und was macht die Bank? Für die heißt es jetzt: Spiel starten und fleißig Daten sammeln! Aber keine Sorge: Wir haben ein Auge darauf. Schließlich sollen die Nutzer auch weiterhin ihren Spaß dabei haben. (axk)